Was Bildung ist, was Bildung soll
Da Bildung selbst immer nur ein Ziel ist, ergeben sich zwei Fragen, aber nur eine Antwort. "Gebildet sein" meint immer nur, schon einen weiten Weg zurückgelegt zu haben. Doch Bildung ist begrifflich schwer zu fassen, da indefinit, imperfekt, immer zu vervollständigen. Wer sich einmal auf das Erlebnis Bildung einlässt, kommt nicht mehr davon los...
Versuchen wir einmal eine negative Charakterisierung: Was Bildung nicht ist.
Bildung ist keinesfalls eine Anhäufung von Wissen und Fakten. Nach Neil Postman kann das als "Kreuzworträtselwissen" bezeichnet werden. Es eignet sich vorzüglich zum Kreuzworträtsellösen, ist aber sonst zu nichts zu gebrauchen.
Was ist daher Bildung? Versuchen wir die verschiedenen Aspekte, die sich im Begriff Bildung zusammenfinden, aufzuzählen:
Bildung ist sprachliche Kompetenz. Damit ist nicht nur der Wortschatz in einer Mutter- oder Fremdsprache gemeint, sondern auch Klarheit im Ausdruck, Verständlichkeit, Artikuliertheit, Sprachkreativität, Dialogfähigkeit und argumentatives Geschick. Die letzten beiden Punkte führen uns fast schon zum nächsten Aspekt:
Bildung ist soziale Kompetenz. Hier geht es um zwischenmenschliche Beziehungen und um gesellschaftliche Interaktionen. Hervozuheben ist hier vor allem die Kooperationsfähigkeit. Dabei spielt natürlich auch die sprachliche Kompetenz eine grosze Rolle: Inwieweit kann ich mich auf die Sprache des Gegenübers einstellen, um verständlich zu sein und als Dialogpartner in Frage zu kommen. Auch hier ist es kein weiter Schritt zum nächsten Punkt:
Bildung ist emotionale Kompetenz. Auch das ist ein wichtiger Aspekt der Bildung. Der Mensch ist ein emotionales Wesen und wir sind darauf hin angelegt, Emotionen anderer zu registrieren und zu verstehen. Hier geht es vor allem darum zu lernen, mit Emotionen umzugehen, sie richtig einzusetzen und sie in die richtigen Bahnen zu lenken. Es geht daher auch um die Handhabung von Konflikten. Stichwort Emotionale Intelligenz!
Bildung beinhaltet auch praktische Alltagsfähigkeiten. Hierzu gehören nicht nur die sogenannten Kulturtechniken, sondern insbesondere auch die Fähigkeit Probleme zu lösen.
Und über allem stehen so grundlegende Eigenschaften wie Lernfähigkeit, Offenheit, Kritik- und Reflexionsfähigkeit sowie die Fähigkeit zu differenzieren (was im österreichischen Wort "Gscheitheit" zum Ausdruck kommt).
Wird dieses Konvolut von Aspekten mit Abstand betrachtet, so erinnert das Ganze stark an das Idealbild des umfassend Gebildeten des Humanismus und der Aufklärung. Letztendlich kreist dieses Bild immer um das "gnothi se auton", um die Selbsterkenntnis, die seit Sokrates stets das abendländische Denken begleitet hat. Der Mensch wird sowohl als integrale Gesamtheit, als Individuum betrachtet, als auch als soziales – und daher gebundenes – Wesen aufgefasst. Daher ist Bildung seit jeher umfassend intendiert.
Kann Selbststudium dieses Ziel erreichen? Gewiss, für reine Datenakkumulation ist dies ohne weiteres möglich, allerdings versagt es bei den anderen Dimensionen der Bildung groszteils. Selbslernen fördert die Isolation und führt im Extremfall zu Kommunikationsverlust, die sozialen und emotionalen Bereiche bleiben hier auf der Strecke.
Wird das Ganze von einem psychologischen Standpunkt aus betrachtet, so ist klar, dass Lernen ein sozialer Prozess ist, der vornehmlich durch den Nachahmungstrieb vorangetrieben wird. Das beginnt schon beim Erwerb der Sprache, setzt sich bei den Ritualen und Kulturtechniken fort und geht über den Schrifterwerb bis zu Höherer Bildung. Dabei spielen gruppendynamische Prozesse immer eine entscheidende Rolle. Bildung hat viel mit Konvention zu tun. Eine grundlegende Voraussetzung für funktionierende Kommunikation sind gemeinsame Standards. Das beginnt bei Begriffen und Symbolen und setzt sich bei Schrift- und Zahlensystemen, der Zeitrechnung und anderen Übereinkünften fort.
Umfassende Bildung auf allen Ebenen scheint nur im sozialen Umfeld möglich zu sein. Die soziale Interaktion ist ein wesentlicher Faktor im Prozess der Bildung. Bildung hat daher vor allem mit Kommunikation zu tun. Es lässt sich fast sagen: Bildung ist Kommunikation, Wissenschaft ist Kommunikation, Menschsein ist Kommunikation.
Reine Faktenwissen ist bekanntlich sinnlos. Erst eine Theorie macht Fakten verwertbar. Allerdings veraltet theoretisches Wissen sehr rasch. Eine umfassende Bildung im oben erörterten Sinn bleibt dagegen zeitlos. Zumindest bleibt die Anwendbarkeit bestehen, solange noch Menschen existieren.
Kommunikation ist per definitionem ein sozialer Prozess, allerdings nicht rein sprachlich, daher ist ein persönlicher Kontakt zu den Mitmenschen oder Kommunikationspartnern sehr wichtig. Die nichtsprachlichen Ebenen der Kommunikation werden im Netz natürlich groszteils ausgefiltert. Auch die Sogenannten Emoticons können dieses Defizit nicht ausgleichen.
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