Im Irrgarten der Wissenschaft
Das Buch der verrückten Experimente vom Wissen-schafts-Journalisten Reto U. Schneider enthält nach eigenen Angaben die Abfallprodukte seiner journalistischen Arbeit. Doch für Abfall sind die teilweise sehr skurrilen Beiträge viel zu interessant und nicht immer ohne Belang. Zumindest spiegeln sie wider, womit sich Wissenschaft (nicht nur abseits vom Mainstream) im Laufe der Geschichte beschäftigt hat. Vieles erscheint uns heute unnötig, abwegig oder gar grausam. Doch die Experimentatoren nahmen ihre Versuche stets ernst. Ob es sich nun um Experimente mit Geköpften, Kopftransplantationen, Ausreißen von Schamhaaren, Spinnen unter Drogen, Verhalten am Pissoir, Sex im Kernspintomographen oder um das Wägen der Seele ging. Auch wenn viele der beschriebenen Versuche prima facie als verrückt erscheinen, sind ihre Ergebnisse doch manchmal recht erstaunlich und rechtfertigen a posteriori so manches Experiment, wenn von bewussten Betrügereien einmal abgesehen wird. Außerdem gilt ganz allgemein für die Wissenschaft: Auch ein gescheitertes Experiment ist ein wissenschaftliches Ergebnis! Eine Sackgasse fordert uns dazu auf, einen anderen Weg zu beschreiten. Ich möchte willkürlich einige Beispiele aus dem Buch herauszugreifen, die durchaus Sinn machten: Drei Experimente zeigten, dass es gewöhnlich eine gewaltige Diskrepanz zwischen geäußerter Meinung und konkretem Verhalten von Menschen gibt – Umfragen haben daher nur geringen Wert für die Verhaltenseinschätzung der Befragten. Besonders interessant war dabei das Beispiel mit den Moraltheologen auf dem Weg zu einem Ethikseminar, die an einem „Opfer“ achtlos vorbeigingen. Dazu passen natürlich auch die Experimente zur Gewaltbereitschaft des Menschen. Bekannt sind das Milgram-Experiment oder das Gefängnis-Experiment. Weniger bekannt ist vielleicht das Vandalen-Experiment, dass zeigt, dass auch brave Bürger leicht zum Vandalismus verführbar sind. Für mich besonders interessant war das Experiment mit der Dollar-Versteigerung: Es zeigt, dass Menschen, die sich – durch einen minimalen Gewinn gelockt – auf eine ausweglose Situation einlassen, nicht mehr aufhören können. Der einzige Weg aus dem Schlamassel herauszukommen scheint ihnen das weitermachen zu sein. Dass sie dabei nur immer tiefer in die Ausweglosigkeit hineintreiben, spielt keine Rolle mehr. Sie halten stur an der anfänglich gewählten Strategie fest. Viele Kriege laufen genau nach diesem Muster ab!
Trotz oder gerade wegen der Vielzahl an Skurrilitäten ist das Buch mehr als lesenswert. Und gerade deshalb ist es sehr anregend und fordert unseren Intellekt heraus. Es ist jedenfalls eine Gewinn bringende Lektüre!
Reto U. Schneider
Das Buch der verrückten Experimente
C. Bertelsmann Verlag, München 2004
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