David Hume
Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach, und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab. Immanuel Kant, Prolegomena, 1783.
Allein dieser Satz weist auf die Bedeutung von David Hume für Philosophie und Moderne hin. Denn nicht nur auf Kant und Franklin, auch auf Mach und Einstein hatte der Denker entscheidenden Einfluss, um nur die bekanntesten zu nennen. Denn als großer Skeptiker bezweifelte Hume alles, sogar die Gültigkeit der klassischen Geometrie. Für ihn waren alle Fragestellungen rein empirisch zu beantworten und somit keine Angelegenheit der Rationalität.
David Hume wurde vor 300 Jahren (1711) als David Home in Schottland zu einer Zeit geboren, in der trotz christlich-fundamentalistischer Tendenzen durch die allgemeine Alphabetisierung eine weit verbreitete Bildungs- und Lesefreundlichkeit herrschte, die viele große Geister hervorbrachte, unter anderem James Watt und Adam Smith. In Schottland gab es damals die ersten öffentlichen Bibliotheken und insgesamt vier Universitäten! David Hume profitierte von dieser offeneren Atmosphäre, auch wenn er sich in seiner Jugend erst von der Enge seiner Familie lösen musste. Er beschloss, nicht Jurist, sondern Philosoph und Gelehrter zu werden, änderte seinen Namen und ging nach London sowie nach Frankreich.
Leider war Humes Erfolg als Philosoph in seiner Heimat nur mäßig. Sein erstes großes Werk „A Treatise of Human Nature“ bezeichnete er selbst als Totgeburt. In den britischen Annalen wird er meist nur als Historiker genannt, da sein umfangreichstes Werk die mehrbändige Geschichte Englands war, ein gelungener Versuch, Geschichte neutral und ohne nationale Scheuklappen zu schreiben und mit der Kultur- und Literaturgeschichte zu verbinden. Aber auch das machte ihm nicht gerade viele Freunde, da er keiner Partei Zugeständnisse machte. Dennoch verkaufte sich das Werk gut und wurde nach seinem Tod über 100 Mal neu aufgelegt.
Nach seinem „Treatise of Human Nature“ in drei Bänden, in denen er noch einem ausweglosen Pyrrhonismus fröhnte, wandelte sich Hume zum pragmatischen Empiristen und zum liebenswürdigen, humorvollen Gesellschaftsmenschen. Seinen literarischen Durchbruch brachten die „Essays, Moral and Political“. Dennoch war er in seiner Heimat immer wieder Anfeindungen – vornehmlich aus kirchlichen Kreisen – ausgesetzt. Großen Erfolg und Anerkennung genoss er hingegen in Frankreich, wo er zu Lebzeiten als bedeutender Denker der Aufklärung gefeiert wurde. Er war brieflich in Kontakt mit Voltaire und Montesquieu, befreundet mit d’Alembert und Diderot. Für kurze Zeit fungierte Hume gar als Botschaftssekretär in Paris. Er wurde von einem Salon zum anderen gereicht!
Besonders geschätzt wurde von den Franzosen seine Geselligkeit und seine Gesprächskultur. Er liebte die sachliche Diskussion und zollte auch seinen Kontrahenten Achtung, sofern diese nicht feindselig waren und klug argumentierten.
Der für uns vielleicht interessanteste Abschnitt in seinem bewegten Leben ist seine Reise als Gesandtschaftssekretär nach Österreich im Jahre 1748, nicht nur, weil er die kaiserlich-königliche Familie von Österreich-Ungarn (Maria-Theresia und Josef II.) persönlich kennen lernte, sondern weil es davon ein Reisejournal in Form von Briefen gibt, das im vorliegenden Band im Anhang zu finden ist. Unter anderem erfreut er sich darin über den Wohlstand und die Reinlichkeit der Deutschen, mokiert sich über die Armut und Hässlichkeit der Steirer und Kärntner, hebt aber zugleich deren Sangeskunst hervor. Von den Tirolern ist er wieder sichtlich angetan, die norditalienischen Städte entsetzen ihn.
Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Hume, der sich schon früh von jeder Religion lossagte, in reiferen Jahren als Unterstaatssekretär des Königs für die Belange der Kirche von Schottland zuständig war, die ihn 1756 beinahe exkommuniziert hätte. Er nutzte sein Amt, um die Gemäßigten in der schottischen Kirche zu unterstützen. Sogar als Bischof von Irland war Hume kurz im Gespräch! Dabei hielt er den Monotheismus für tendenziell intolerant und moralisch für sehr bedenklich.
Zusammen mit John Locke und George Berkeley gehört David Hume zu den Hauptvertretern des englischen Empirismus. Doch welche sind die Erkenntnisse, die ihn so bedeutend für Philosophie und Wissenschaft bis in die Gegenwart machen? Es ist nicht sein Einfluss auf die amerikanische Verfassung durch seine „Political Discourses“ (insbesondere durch den Abschnitt „An Idea of a Perfect Government“). Es sind vor allem einige seiner Kritikpunkte an der rationalen Philosophie, die bis heute ihre Aktualität nicht verloren haben. Ich möchte hier die vier wesentlichsten anführen.1) Kritik am Kausalitätsprinzip: Unser Schluss von Ursache auf Wirkung ist kein rationaler, sondern einer aus Gewohnheit oder Instinkt. Es gibt keine logische Verbindung von Ursache und Wirkung, nur eine empirische. 2) Wunderanalyse: Da eine Zeugenaussage nicht die gleiche Stringenz wie ein Naturgesetz hat, und Wunder geltenden Naturgesetzen widersprechen, sind Wunderberichte nicht glaubwürdig. 3) Humesches Gesetz: Es ist logisch nicht gerechtfertigt, von einem Sein auf ein Sollen zu schließen. Jeder moralischer Schluss setzt normative Prämissen voraus und kann daher nicht „aus der Natur“ hergeleitet werden. 4) Vernunftkritik: Die Vernunft ist leider die Sklavin unserer Emotionen und nicht umgekehrt. Daher gilt es, die Emotionen zu kultivieren.
Stremingers Buch ist nicht nur eine umfassende Bio- und Bibliografie zu David Hume, es geht auch auf die historischen und sozialen Umstände ein. Jedes Werke von Hume erfährt nach der Beschreibung der jeweiligen Entstehungsgeschichte im historischen Kontext auch eine inhaltliche Zusammenfassung sowie eine abschließende Kritik. Trotz der merkbaren Wertschätzung gegenüber David Hume sind auch in den biografischen Abschnitten immer wieder kritische Punkte angemerkt. Wie jeder Mensch ist auch David Hume nicht nur positiv zu sehen – auch er hatte seine Schattenseiten, und sie werden hier nicht unter den Teppich gekehrt. Trotz seines Kampfes gegen den Aberglauben hatte auch er Vorurteile und blinde Flecken. „Ein großer Geist irrt sich so gut wie ein kleiner, jener, weil er keine Schranken kennt, und dieser, weil er seinen Horizont für die Welt nimmt“ (Goethe).
Besonders gelungen ist das vorletzte Kapitel des Buches, worin die letzten Jahre des Philosophen beschrieben werden. Hume starb nach langer, schwerer Krankheit 1776 zufrieden in seinem Haus in Edinburgh. Es ist vor allem deshalb so berührend, weil Humes letzte Sorge der posthumen Veröffentlichung seiner noch unpublizierten Schriften zur Religionskritik, den „Dialogues concerning Natural Religion“ galt. Daneben gab es in klerikalen Kreisen die Erwartung, er werde jetzt in den Schoß der Kirche zurückkehren und seiner Philosophie abschwören. Doch diese Hoffnungen erfüllten sich nicht, da Hume bis zuletzt furchtlos gegenüber dem Tod blieb. Was Hume sicher sehr erfreut hätte: genau in jenen Tagen wurde auch die Unabhängigkeit Amerikas proklamiert.
Die Erstauflage dieser Biografie erfolgte bereits 1994, gefolgt von einer Taschenbuchversion 1995. Die überarbeitete Neuauflage durch den Verlag C.H.Beck, die genau rechtzeitig zum 300 Geburtstag von David Hume erschienen ist, wurde durch das Reisejournal aus dem Jahr 1748 ergänzt, die deutsche Übersetzung stammt vom Autor. Gerhard Streminger hat Philosophie und Mathematik in Graz, Göttingen, Edinburgh und Oxford studiert und sich im Laufe dieser Studien immer mehr auf David Hume spezialisiert. Das drückt sich auch in zahlreichen Publikationen zu David Hume aus, wobei diese spannende und detailreiche Biografie sicher einen Höhepunkt darstellt.
Gerhard Streminger
David Hume
Der Philosoph und sein Zeitalter
C.H.Beck, München 2011
798 Seiten, € 34,- [D], € 35,- [A]
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