Sunday, October 26, 2014

Goethe und die Naturwissenschaften  
Interview für eine Fachbereichsarbeit vom 26. Oktober 2014 in Kärnten.
1)      Wieso ist Goethe bekannter für seine Literatur als für seine Naturwissenschaft?
Ich bin kein Goethe-Experte und auch kein Germanist, aber ich denke, es hat – neben seiner herausragenden literarischen Begabung – vor allem damit zu tun, dass Goethe sich mit seiner Farblehre zu sehr in Opposition zu Newton (und auch zu Kant) gestellt hat. Damit geriet seine Farblehre in Misskredit, obwohl sie die subtraktive Farbmischung, also das physikalische Verhalten von Pigmentfarben, grundsätzlich richtig beschreibt, auch wenn seine darüber gelegte Theorie der Farben falsch ist. Goethe selbst hielt sie für die allein richtige und lehnte folgerichtig Newtons Farblehre kategorisch ab. Newtons Farbtheorie befasste sich aber mit dem Verhalten von Lichtfarben, also mit der additiven Farbmischung. Im Grunde waren beide Beschreibungen richtig, nur auf verschiedenen physikalischen Ebenen.  Der scheinbare Widerspruch war nur eine Sache der unterschiedlichen Domänen, und kein sich ausschließender. Nichtsdestotrotz erlangte Newtons Physik den Siegeszug und verdrängte in der Folge auch Goethes Leistungen auf dem Gebiet der Farbtheorie.
2)      Was war Goethes wichtigstes Anliegen in der Naturwissenschaft?
Goethe ging es einerseits um ein ganzheitliches Verständnis der Natur (das klingt fast zeitgemäß), andererseits störte ihn die Trennung von Subjekt und Objekt. Für Goethe zeigen uns die Sinne die Welt so, wie sie ist und nicht als Trugbild (Erscheinung).  Damit geht er in Opposition zu Kants Kritik, die das Subjekt vom Objekt  trennt und daher das „Ding an sich“ als unerkennbar betrachtet.
Beseelt war Goethe sicher von einem evolutionären Gedanken, auch wenn es noch keine ausformulierte Theorie dazu gab. Seine Entdeckung des „Os intermaxillare“ sowie seine ständige Suche nach der Urpflanze legen das Nahe. Und mit seiner Ansicht, dass alles an der Pflanze ursprünglich Blatt gewesen sei, trifft er den Nagel – zumindest für die Gefäßpflanzen – ziemlich auf den Kopf. Seine morphologischen Studien dazu sind beeindruckend. Der Begriff „Morphologie“ wurde ja von Goethe 1796 erstmals geprägt.
Das scheinbare Fehlen des „Os intermaxillare“ (des Zwischenkieferknochens, heute „Os incisivum“) galt bis dahin als theologischer Beweis für die Sonderstellung des Menschen in der Natur. Alle anderen Säugetiere hatten diesen anatomischen Bestandteil des Schädelskelettes, nur beim Menschen schien er nicht vorhanden zu sein. Goethe wies in anatomischen Studien an frühen Totgeburten nach, dass auch der Mensch diesen Knochen besitzt, er aber später so mit dem Oberkieferknochen verwächst, dass er im adulten Stadium nicht mehr als eigene Struktur erkennbar ist. Damit stimmte nun auch der Mensch anatomisch in allen Details mit den anderen Säugetieren überein.
Wie nun unschwer zu erkennen ist, ging Goethe – zumindest in seinen jungen Jahren – mit ziemlicher Sicherheit nicht von einer Schöpfung aus. Für ihn war die Welt auf natürliche Weise zu erklären. Die Natur selbst war seine Mutter aller Dinge und bringt diese aus sich selbst hervor. Er steht somit in der Tradition von Spinozas Pantheismus: deus sive natura. Er drückte seine naturalistische Haltung eher vorsichtig so aus: Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, hat auch Religion; wer jene beiden nicht besitzt, der habe Religion (Zahme Xenien IX).
3)      Was waren die Gründe für Goethes Italienreise?
Das weiß ich natürlich nicht wirklich, aber Italien galt in der Aufklärung als Wiege der Renaissance, sodass viele Intellektuelle in das Land strebten, wo die Zitronen blühen, um sich zu bilden. Es handelte sich also jedenfalls um eine Studienreise. Außerdem wollte er auch die Urpflanze finden. Das könnte ebenfalls ein Motiv für seine Reise gewesen sein. Er glaubte sie später im Brutblatt (Bryophyllum) gefunden zu haben, weil da aus den Blatträndern immer wieder neue Pflanzen herauswachsen.
4)      Goethes Mittel der Forschung war die Beobachtung. Wieso stand er Mikroskopen und anderen Hilfsmitteln kritisch gegenüber?
Goethe suchte die Unmittelbarkeit in der Beobachtung, er verachtete die Trennung von Subjekt und Objekt.  Jedes Gerät oder Medium stellt sich da dazwischen, bildet also ein Trennlinie oder ein Hindernis zwischen dem Beobachteten und dem Beobachter, für Goethe ein Gräuel.  Das hat mit seiner bereits zuvor erwähnten Kritik an Kants unerkennbaren „Ding an sich“ zu tun. Auch seine Ablehnung von Newtons Farbenlehre hat wahrscheinlich unter anderem auch damit zu tun, da Newton dafür ein Prisma in einer „camera obskura“ (Dunkelkammer) verwendet hatte. Für Goethe wurde so mutwillig das reine Weiß des Lichtes zerstört!
Auch Goethe machte Experimente mit Prismen, beachtete dabei aber vor allem die Beugungsspektren an den Rändern, und zog daraus dann die falschen Schlüsse. Für ihn war die Grundfarbe das reine Weiß – die anderen Tönungen ergaben sich nach Goethe durch die Beimischung von Schatten oder Dunkelheit.
5)      Goethe hielt seine Farbenlehre für sein naturwissenschaftliches Hauptwerk und verteidigte seine Thesen hartnäckig. Wieso tat er dies?
Eigentlich habe ich diese Frage zuvor schon fast beantwortet:  Goethe ging es um die Unmittelbarkeit der Erfahrung. Für ihn war die Subjektivität nicht von der Objektivität zu trennen. Sein Zugang zur Natur war also holistisch, um ein Modewort zu gebrauchen.  Daher lehnte er auch Newtons Methode ab und sah sie als fehlgeleitet. Weißes Licht war für Goethe weißes Licht und nicht aus dunkleren Farben zusammengesetzt. Newton hatte seiner Meinung nach die Natur des Lichtes mit seinen Experimenten vergewaltigt. Wenn Goethe alle seine Farben mischte – er hatte ja auch eine künstlerische Ausbildung – so ergab sich Schwarz und nicht Weiß. Das war für Ihn Grund genug, Newtons Theorie als falsch zu betrachten.  Dass beide auf einem ganz anderen Feld forschten, erkannte er und auch die anderen damals nicht. Lichtfarben verhalten sich anders als Pigmentfarben. Bei Licht ergibt die Mischung aus rotem und grünem Licht Gelb, bei Pigmenten ergibt die gleiche Mischung Dunkelgrau oder Schwarz. Das ist eben der Unterschied von additiver und subtraktiver Farbmischung und hängt auch von unseren Farbrezeptoren ab (für das menschliche Auge ist die Mischung aus rotem und grünem Licht von einem reinen gelbwelligen Licht nicht unterscheidbar – daher kann uns der Farbfernseher mit nur drei Grundfarben alle Farbeindrücke vorgaukeln). Farbfernseher funktionieren additiv (Grundfarben: Rot, Grün und Blau) und Druckfarben funktionieren subtraktiv (Grundfarben: Magenta, Gelb und Cyan). Die eine basiert auf Lichtzugabe, die andere auf Lichtlöschung. Heute ist das kein Geheimnis mehr, aber damals war man sich dieses unterschiedlichen Verhaltens in den beiden Farbdomänen nicht bewusst. Insofern ist Goethes Verhalten fast entschuldbar, obwohl er sich der Newtonschen Evidenz verweigerte. Aber er hatte ein starkes Grund: Auch seine Farbmischungen funktionierten, wenn auch nur mit Pigmentfarben.
Goethes Farbkreis, der übrigens in den Grundzügen dem Farbkreis von Johannes Itten gleicht, wenn man ihn auf die Grund- und primären Mischfarben reduziert, verwendet die Farben Purpur (d.i. Rot), Gelbrot (d.i. Orange), Gelb, Grün, Blau und Blaurot (d.i. Violett). Jeder Farbe ordnete er weitere Eigenschaften wie „schön, edel, gut, nützlich, gemein und unnötig“ zu. Auch andere Bezüge stellte er her: In seiner gesamtheitlichen Schau machte er auch ästhetische und sinnesphysiologische Überlegungen zu den Farben. Für ihn war Weiß die Grundfarbe, aus der durch Beimischung von Dunkelheit oder Schatten die Farben entstehen. Dass das Weiß nach Newton als Summe von den dunkleren Farben zu verstehen ist, widersprach daher seinem Farbverständnis.

Man kann abschließend nur sagen: Große Geister, große Fehler!

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