Wednesday, October 23, 2013

Briefe an einen jungen Forscher


In seiner kleinen Schrift „Briefe an einen jungen Wissenschaftler“ versucht der Harvard-Professor Edward O. Wilson – untergliedert in fünf thematische Abschnitte – mit kurzen und unabhängig zu lesenden Aufsätzen (Briefen) einen Leitfaden für eine wissenschaftliche Karriere zu geben. Seine fünf Generalthemen, unter die er seine Briefe einordnet, lauten dabei: Der Weg, dem man folgen muss – Der kreative Prozess – Ein Leben für die Wissenschaft – Theorie und großes Bild – Wahrheit und Ethik.

Im ersten thematischen Abschnitt, der den Werdegang eines Wissenschaftlers beleuchtet, geht es ihm vor allem um die persönliche Leidenschaft, die für den Erfolg in einer Wissenschaftsdisziplin unerlässlich ist. Leidenschaftliche Arbeit ist wichtiger als das wissenschaftliche Training für den Erfolg. Auch mathematische Talente sind in vielen Bereichen entbehrlich. Pioniere der Wissenschaft haben selten ihre Erkenntnisse aus der Mathematik bezogen. Falls man für seine Forschungen auch Mathematik braucht, soll man sich eben an Fachleute wenden. Speziell in den Biowissenschaften ist die Mathematik wenig fruchtbringend, weil die relevanten Faktoren des wirklichen Lebens häufig entweder missverstanden oder nicht erkannt bzw. übersehen werden. Außerdem gibt es fast in jeder wissenschaftlichen Disziplin mindestens einen Bereich, in denen man auch ohne Mathematik exzellente Leistungen erbringen kann. Wichtiger ist es, eine Nische zu finden, in der man zum Spezialisten aufsteigen kann. Jedes wissenschaftliche Problem bietet eine Chance. Je größer das Problem, umso besser! Jedenfalls ist es immer besser, sich abseits vom Mainstream zu bewegen.

Im Abschnitt, der den kreativen Prozess behandelt, geht Wilson zuerst der Frage nach, was Wissenschaft eigentlich ist. Für ihn ist es das organisierte und testbare Wissen von der Welt im Gegensatz zu den unzähligen Meinungen, die sich von Mythen und Aberglauben nähren. Für ihn übertrifft die wissenschaftliche Methode in der Erklärungskraft jedenfalls jeden religiösen Glauben in Bezug auf Ursprung und Sinn des menschlichen Lebens. Daher ist es für jeden Wissenschaftler essenziell, sich darauf zu besinnen, dass es um die Erforschung der realen Welt geht, und nicht um die Bestätigung von vorgegebenen Meinungen oder Trugbildern. Nur prüfbare Fakten zählen in der Wissenschaft. Wenn die Forschungsergebnisse korrekt und stimmig sind, werden sie auf Dauer jede Ideologie und jeden politischen Widerstand überwinden. Ein idealer Wissenschaftler denkt wie ein Poet und arbeitet wie ein Buchhalter. Das garantiert nachhaltige Ergebnisse. Die äußersten Grenzen der Wissenschaft kann man aber nur erreichen, wenn man auch die Landkarten kennt, die die früheren Forscher bereits gezeichnet haben. Um aber ein neues Terrainabzuklopfen, können kleine unkontrollierte Experimente sehr hilfreich sein, nur um zu sehen, ob sich etwas Interessantes auftut. Neue Technologien können dabei nützlich sein, sollten aber nicht zum Selbstzweck werden (Liebe sie also nicht!). Wichtig ist aber vor allem, sich selbst treu zu bleiben.

Ein Leben für und in der Wissenschaft sieht für Wilson folgendermaßen aus: Immer gut ist es, wenn man einen Mentor findet. Also gehe man auf die Suche. Von daher ist es schon angebracht, nicht unbedingt mit dem Strom zu schwimmen. Außerdem sollte man sich in seinem Wahlgebiet gut auskennen. Auch in der modernen Biologie sind dabei gute Kenntnisse in Taxonomie und Systematik unerlässlich. Dann versuche man das Unmögliche, um etwas Außergewöhnliches zu erreichen.

Im Abschnitt „Theorie und das große Bild“ stellt Wilson fest, dass das Leben auf der Erde noch weitgehend unbekannt ist, sodass es ein leichtes ist, ein Forscher zu sein, ohne seine Umgebung unbedingt verlassen zu müssen. Wir suchen nach Mustern, die erkennbar werden, wenn sich die Puzzle-Teile zusammen fügen. Wenn so ein Muster entdeckt wird, nutzen wir es als Arbeitshilfe, um neue Untersuchungsansätze zu kreieren. Wenn die neuen Methoden nicht gut greifen, müssen sie besser adaptiert werden. Greifen sie gar nicht oder ergeben sich Widersprüche, so muss man eben nach neuen Mustern Ausschau halten. In jedem Fall erzeugt eine wissenschaftliche Antwort immer auch wieder neue Fragen. Hier zitiert er Newton: „If you see further than others, it is by standing on the shoulders of giants.“ Jedenfalls können Ambition und unternehmerischer Geist häufig fehlende Brillianz ersetzen.

Wahrheit und Ethik gehören für Wilson offensichtlich zusammen. Im letzten Abschnitt beleuchtet er den wissenschaftlichen Ethos. Die oberste Maxime für jeden Wissenschaftler ist für ihn die Verfolgung der Wahrheit. Wissen an sich ist niemals negativ zu sehen, aber was man damit anfängt – die Anwendung von Wissen – kann durchaus verderblich sein, insbesondere wenn sie für ideologische Zwecke missbraucht wird. Daher gibt es für ihn keinen großen Wissenschaftler, der ganz allein für sich in einer verborgenen Kammer arbeitet. Austausch und voneinander Lernen gehören für ihn stets dazu.

Mit seiner Anleitung für eine wissenschaftliche Karriere will Wilson jungen Wissenschaftlern etwas aus seinem reichen Erfahrungsschatz als Starthilfe mit auf den Weg geben. Das ist ihm mit diesem Büchlein sicher auch gelungen. Man kann nur hoffen, dass es auch von jungen Menschen gelesen wird, um ihnen den Einstieg in die Wissenschaft zu erleichtern und Anregungen für die persönliche Karriereplanung zu geben. Im Studium hört man solche Dinge kaum – ich wäre froh gewesen, hätte es so ein Handbuch schon zu meiner Zeit gegeben.


Letters To A Young Scientist

Edward O. Wilson

Liveright Publishing Cooperation, New York 2013

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