Tuesday, October 30, 2012

Verwaltungsstrafe

Klagenfurt, am Abend des 30. Oktober 2012

Im Volkskino von Klagenfurt hatte der Film „Die Vermessung der Welt“ gespielt. Ich war voll von Eindrücken auf den Platz vor dem Kino getreten, um darauf zu warten, dass ich abgeholt werde. Ungefähr 45 Minuten hatte ich noch Zeit. Unschlüssig, wie ich die Zeit verbringen werde, sah ich um mich. Da mir keines der umliegenden Lokale zusagte, holte ich mir nur Trinkwasser aus der Kebap-Stube vis a vis und kehrte wieder auf den Platz zurück. 

Nachdem ich die Flasche geleert und  ordnungsgemäß entsorgt hatte, bemerkte ich, wie eine Polizeistreife einen Radfahrer, der mich gerade passiert hatte, aufhielt. Der Radfahrer entpuppte sich als schwarzafrikanischer Flüchtling, der gerade mit seinem Fahrrad und einem zusätzlichen Einzelrad auf dem Weg ins Flüchtlingsheim war. Die zwei – eher jungen – Wachebeamten verlangten den Personalausweis und verhörten den –ebenfalls jungen – Delinquenten. Sie fragten ihn nach der Wohnadresse, nach der Arbeit, woher das zusätzliche Rad stamme. Offenbar hielten sie es für gestohlen. Der Flüchtling beteuerte, dass er das Rad bei den Mülltonnen ums Eck gefunden hatte. Die Polizei wollte mit ihm zum Fundort, aber zuvor sollte er die Verwaltungsstrafe von € 25,- für lichtloses Fahren bezahlen. Natürlich hatte der Asylant kein Geld bei sich. Also wollten sie wissen, ob er daheim Geld hätte, denn wenn die Pönale nicht sofort bar bezahlt wird, würde sie sich wesentlich erhöhen. In diesem Moment hatte ich den unbedingten Impuls, mich einzumischen. Irgendwie hielt ich das Ganze für etwas schikanös. Jeder weiß, dass Flüchtlinge im Asylverfahren kein Geld und auch keine Arbeitserlaubnis haben. Daher hielt ich die Frage nach dem Job schon als unangebracht. Zufällig hatte ich genau noch €27,- in meiner Brieftasche, also ging ich mit den Worten hinzu: „Ich zahle die Verwaltungsstrafe für den Herrn!“

Verdutzt fragte mich einer der Uniformierten, ob ich den Herrn kenne, was ich natürlich verneinte. Danach stellte er nur lakonisch – zum Radfahrer gewandt – fest, dass ich hier seine Strafe bezahle. Ziemlich zur gleichen Zeit kamen noch zwei andere Beamte hinzu, die aber bald wieder abtraten. Der Polizist stellte die Verwaltungsstrafe für den Radfahrer aus und nahm die € 25,- von mir entgegen. Währenddessen machte ich zum Flüchtling die Anmerkung, dass es bei uns eben so ist, dass man ohne Licht in der Nacht nicht fahren darf, auch um die Situation selbst zu entschärfen. Danach ließ die Polizei vom Flüchtling ab. Auch das zusätzliche Rad spielte nun keine Rolle mehr.

Nachdem die Polizei abgezogen war, bedankte sich der Radfahrer überschwänglich bei mir. Er stellte sich als John vor und begann über die Zustände in Österreich zu schimpfen: typisch Österreich, eine Strafe dafür, nur weil man zwei Hausecken mit einem lichtlosen Rad unterwegs gewesen war. Ich erklärte ihm noch einmal, dass man in Österreich in der Nacht eben sichtbar sein muss, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Notfalls eben mit abnehmbaren Radlichtern – sein Rad hatte nämlich keine Lichtanlage. Nachdem er weiter lamentierte, wie kleinlich die Verwaltung in Österreich sei, musste ich entgegenhalten: „Dafür funktioniert in Österreich aber auch alles!“

Mit einem „Gute Nacht“ verabschiedeten wir uns, und ich war wieder alleine auf dem Platz, auf mein Pick-up harrend. Mehrere widersprüchliche Gedanken schossen durch meinen Kopf. Einerseits hielt ich die Vorgehensweise der Polizei für inadäquat. Jeder weiß, dass Flüchtlinge kein Geld haben und nicht arbeiten dürfen. Daher können sie solche Verwaltungsstrafen auch nicht bezahlen. Sinnvoll wäre daher eine Verwarnung und Belehrung durch die Beamten – von einer Geldstrafe sollte man in diesen Fällen Abstand nehmen. Asylanwärter kennen ja auch unsere Regeln nicht. Andererseits störte mich auch die Uneinsichtigkeit des Delinquenten. Er sah es nur als Schikane – die es wahrscheinlich auch war – aber eben nicht nur. Das Anhalten aufgrund des lichtlosen Rades ist gerechtfertigt. Dass das in seiner Heimat sicher keine Rolle spielt, ist anzunehmen. Aber deshalb handelt es sich dort auch um die dritte Welt. Hier ist es die erste, in der alle gerne leben möchten, weil eben alles besser funktioniert. Aber das hängt nicht allein vom besseren System ab, sondern auch davon, dass der Einzelne Verantwortung übernimmt und seine Pflichten erfüllt. Alles hat eben zwei Seiten. Man kann die Lebenseinstellung von dort eben nicht hierher mitnehmen.

Ich kann nur hoffen, dass sowohl die Polizisten als auch der Radfahrer noch über die Situation nachdenken und vielleicht auch etwas daraus lernen…


Erlebnisbericht. Der Autor ist Erwachsenenbildner und Pate von einem jugendlichen Flüchtling in Graz (über „connecting people“).

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