Sunday, June 24, 2012

Böse Philosophen

Vorrevolutionäres Paris:  Im Salon von Baron d’Holbach  tummeln sich die „bösen Philosophen“ der Aufklärung.  Diese kleine Enklave der freien Geisteshaltung erlaubt es, alle Tabus und alle Dogmen der Vergangenheit hinter sich zu lassen und intellektuell in neue Welten aufzubrechen. Die besten Köpfe Europas treffen sich dort zum Gedankenaustausch: Jean d’Alembert, Denis Diderot, Claude-Adrien Helvétius, David Hume, Jean-Jacques Rousseau, Adam Smith und John Wilkes, um nur einige zu nennen. Hier wird radikales und befreites Denken betrieben. Hier werden Konventionen gebrochen. Hier wird ein neues Zeitalter eingeläutet.
Philipp Blom, der in Wien und Oxford studiert hat, präsentiert in seinem philosophiegeschichtlichen Buch nicht nur die geistigen Früchte des Salons von d’Holbach, er zeichnet auch den Werdegang der einzelnen Proponenten nach und schildert die jeweiligen persönlichen Verbindungen sowie die gesellschaftlichen und politischen Umstände, die ein radikales Andersdenken nicht gerade förderten. Zensur und letale Verfolgung drohten ihnen allenthalben.
Der englische Originaltitel lautet „A Wicked Company“, das am besten mit „in schlechter Gesellschaft“ zu übersetzen wäre. Aber sowohl der deutsche als auch der englische Titel sind ironisch und beziehen sich auf die Wahrnehmung durch die Zeitgenossen jener Denker. Wer Überkommenes in Frage stellte, galt dazumal grundsätzlich als böse.
Neben dem detailreichen Rückblick auf die Philosophie der historischen Aufklärung ist das Buch auch ein deutliches Plädoyer, sich mit den Gedanken der Aufklärung wieder neu auseinander zu setzen: sie haben nichts an Brisanz verloren! Auch oder gerade heute  spielen die Fragen nach den Menschenrechten, nach den Grundlagen der Ethik, nach dem Verhältnis der Geschlechter, nach dem Umgang mit der menschlichen Libido oder nach der gesellschaftlichen Bedeutung der Religion eine zentrale Rolle. Sie sind immer noch top-aktuell.
Besonders interessant fand ich die spektakuläre und spannende Entstehungsgeschichte der „Encyclopedie“ unter geschickter Umgehung der Zensur sowie die paranoide Rolle Rousseaus im Zirkel und seinen – zum Teil verheerenden – Einfluss auf die Nachwelt. Außerdem ist es erstaunlich, welche fortschrittlichen Ideen bereits in dem Zirkel keimten: so wurden Prinzipien der Evolutionstheorie und der Genetik rein spekulativ vorweggenommen, die sich inzwischen als bestätigt erwiesen haben.
Die Denker der Aufklärung haben uns gezeigt, wie man althergebrachte Vorurteile überwindet, um mit freiem Blick auf Fragen eingehen und dadurch ganz neue und unkonventionelle Antworten finden zu können. Mit dieser Einstellung haben sie auch die Möglichkeit von einer menschlicheren und gerechteren Gesellschaft gesehen. Es ist an der Zeit, wieder zu dieser Radikalität des freien Denkens zurück zu finden.

Philipp Blom
Böse Philosophen
Hanser Verlag, München 2011



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