Böse Philosophen
Vorrevolutionäres Paris:
Im Salon von Baron d’Holbach
tummeln sich die „bösen Philosophen“ der Aufklärung. Diese kleine Enklave der freien
Geisteshaltung erlaubt es, alle Tabus und alle Dogmen der Vergangenheit hinter
sich zu lassen und intellektuell in neue Welten aufzubrechen. Die besten Köpfe
Europas treffen sich dort zum Gedankenaustausch: Jean d’Alembert, Denis
Diderot, Claude-Adrien Helvétius, David Hume, Jean-Jacques Rousseau, Adam Smith
und John Wilkes, um nur einige zu nennen. Hier wird radikales und befreites
Denken betrieben. Hier werden Konventionen gebrochen. Hier wird ein neues
Zeitalter eingeläutet.
Philipp Blom, der in Wien und Oxford studiert hat,
präsentiert in seinem philosophiegeschichtlichen Buch nicht nur die geistigen
Früchte des Salons von d’Holbach, er zeichnet auch den Werdegang der einzelnen
Proponenten nach und schildert die jeweiligen persönlichen Verbindungen sowie
die gesellschaftlichen und politischen Umstände, die ein radikales Andersdenken
nicht gerade förderten. Zensur und letale Verfolgung drohten ihnen allenthalben.
Der englische Originaltitel lautet „A Wicked Company“,
das am besten mit „in schlechter Gesellschaft“ zu übersetzen wäre. Aber sowohl
der deutsche als auch der englische Titel sind ironisch und beziehen sich auf
die Wahrnehmung durch die Zeitgenossen jener Denker. Wer Überkommenes in Frage
stellte, galt dazumal grundsätzlich als böse.
Neben dem detailreichen Rückblick auf die Philosophie
der historischen Aufklärung ist das Buch auch ein deutliches Plädoyer, sich mit
den Gedanken der Aufklärung wieder neu auseinander zu setzen: sie haben nichts
an Brisanz verloren! Auch oder gerade heute
spielen die Fragen nach den Menschenrechten, nach den Grundlagen der
Ethik, nach dem Verhältnis der Geschlechter, nach dem Umgang mit der
menschlichen Libido oder nach der gesellschaftlichen Bedeutung der Religion
eine zentrale Rolle. Sie sind immer noch top-aktuell.
Besonders interessant fand ich die spektakuläre und spannende
Entstehungsgeschichte der „Encyclopedie“ unter geschickter Umgehung der Zensur
sowie die paranoide Rolle Rousseaus im Zirkel und seinen – zum Teil
verheerenden – Einfluss auf die Nachwelt. Außerdem ist es erstaunlich, welche
fortschrittlichen Ideen bereits in dem Zirkel keimten: so wurden Prinzipien der
Evolutionstheorie und der Genetik rein spekulativ vorweggenommen, die sich
inzwischen als bestätigt erwiesen haben.
Die Denker der Aufklärung haben uns gezeigt, wie man althergebrachte
Vorurteile überwindet, um mit freiem Blick auf Fragen eingehen und dadurch ganz
neue und unkonventionelle Antworten finden zu können. Mit dieser Einstellung
haben sie auch die Möglichkeit von einer menschlicheren und gerechteren
Gesellschaft gesehen. Es ist an der Zeit, wieder zu dieser Radikalität des
freien Denkens zurück zu finden.
Philipp Blom
Böse Philosophen
Hanser Verlag, München 2011
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