Wednesday, June 08, 1988

Entomopneumasie

Die Atmung der Insekten und die Bedeutung für deren Evolution

Alle eukaryotischen Lebewesen atmen. Sie verbrennen Zucker zu Kohlendioxid und Wasser, wobei der Wasserstoff des Zuckers auf den Sauerstoff übertragen wird. Diese kontrollierte Knallgasreaktion liefert die Energie für die Lebensprozesse. Es entsteht Wasser. Übrig bleibt das Abfallprodukt CO2.

Im Laufe der Entwicklung haben sich im Tierreich verschiedene Atmungssysteme etabliert. Neben der ursprünglichen Hautatmung entstanden bald spezielle Organe, die den Gasaustausch mit der Umwelt bewerkstelligten. Im Wasser sind es die Kiemen, an der Luft übernehmen zumeist Lungen die Atmung. Einen ganz eigenen Weg schlugen aber die Insekten ein: sie entwickelten Tracheen.












Tracheen sind ektodermale, röhrige Einstülpungen, die den ganzen Körper durchziehen und den Sauerstoff direkt an den Zielort (an die Organe) heranführen. Die Röhrchen erinnern im Aussehen an die Luftröhre bei Lungentieren, da sie schraubige Verdickungen (Täniden) als Kollapsschutz und Stütze aufweisen. Daher auch die Bezeichnung Tracheen. Der Name kommt übrigens auch in der Botanik vor, wo er optisch ähnliche Strukturen benennt, die aber für den Wasser- und Safttransport innerhalb der Pflanze zuständig sind.

Die Tracheenatmung ist für alle Insekten charakteristisch, kommt aber auch bei anderen Kerbtieren vor, wie bei Tausendfüßlern und Spinnentieren. Bei den Spinnen scheint es sich um eine konvergente Entwicklung zu handeln, ist also unabhängig zu den Insekten entstanden. Auch die Stummelfüßler atmen mit Tracheen. Grundsätzlich kommt die Tracheenatmung nur bei Gliedertieren vor.

Da die Tracheen eine Einstülpung der Außenhaut darstellen, müssen bei einer Häutung auch die Tracheen erneuert werden. Die Ventillation erfolgt über Kontaktionen des Abdomens – was bei Insekten besonders gut zu sehen ist. Das Tracheensystem dient nicht nur als Respirationsorgan, sondern auch als Gastransportsystem und als Aufhängung (Fixierung) der inneren Organe (Bindegewebsfunktion!). Es muss daher auch alle Organe durchwachsen.

Urspünglich besitzen Insekten pro Körpersegment zwei verschließbare Atemöffnungen (Stigmata), von denen die Tracheen ihren Ausgangspunkt nehmen. Später entwickelten sich zwei den Körper in Längsrichtung durchlaufende Haupttracheenstränge. Zusätzlich entstanden häufig auch Luftsäcke, um die Ventillation zu verbessern.

An den Zielorten befinden sich Endzellen mit feinverzweigten Tracheolen von weniger als 1 μm Durchmesser. Diese intrazellulären Luftkapillaren umspinnen und durchdringen die Organe und stellen den Ort des Gasaustausches dar. Diese Kapillaren sind teilweise mit einer Gewebsflüssigkeit gefüllt, die bei Sauerstoffmangel absorbiert wird, sodass Luft nachgesaugt wird.

Es gibt auch Modifikationen und Ableitungen vom Tracheensystem, wenn eine Anpassung auf andere Erfordernisse oder auf andere Atmungsmedien dies erforderten. So gibt es Tracheenkiemen bei Insekten, die im Wasser leben, sofern sie sich nicht mit einer physikalischen Kieme behelfen. Oder es entwickelt sich eine Tracheenlunge, wie bei Kellerasseln. Einige Spinnentiere eine Fächerlunge hervorgebracht.

Einige wasserlebende Tracheenatmer behelfen sich mit der bereits erwähnten physikalischen Lunge: Durch Haare oder unter den Flügeldecken bildet sich ein Luftraum (eine Luftblase), die mit dem Tracheensystem in Verbindung steht. Der Gasaustausch erfolgt dann über die Grenzfläche zwischen Wasser und Luftraum.

Die Funktionsweise der Tracheenatmung ist von vielen Faktoren abhängig: Körpergröße, Temperatur, Diffusionskonstante. Alle diese Faktoren greifen ineinander. Am wesentlichsten ist allerdings die Diffusion.

Die Gasdiffusion ist im Gegensatz zu Flüssigkeiten (Blut, Lymphe) erheblich günstiger, da die Sauerstoffkapazität ungleich größer ist. Allerdings wird dieser Vorteil durch den Diffusionswiederstand wieder zunichte gemacht. Das führt zu einem Größenlimit bei Tracheenatmern. Hohe Temperatur begünstigt die Diffusion. Daher gibt es in wärmeren Regionen und zu wärmeren Erdepochen auch größere Insekten.

Die hohe Sauerstoffkapazität der Tracheen macht sie grundsätzlich zu einem perfekten Atmungssystem. Der Gastransport ist etwa 5000 Mal schneller als im Wasser. Im Vergleich zu den Säugetieren erlauben Tracheen etwa 1000 Mal mehr Sauerstofftransport pro Zeiteinheit als es über das Blut möglich wäre. Daher haben alle Tracheenatmer auch nur ein unvollständiges Blutkreislaufsystem, da die Körperlymphe nur für die Ernährung der Organe zu sorgen hat. Für den Gasaustausch spielt sie praktisch keine Rolle. Allerdings wird dieser Vorteil mit einem Limit an möglicher Körpergröße erkauft.

Zur Steigerung und Regulation der Diffusion haben manche Insekten verschiedene Ventillationsmechanismen entwickelt. Mithilfe von Luftsäcken und durch rhythmisches Schließen der Stigmata sowie durch Pumpen durch Kontraktion des Hinterleibes wird ein gerichteter Luftstrom im inneren des Tracheensystems erzeugt.

Dennoch bleibt des Tracheensystem auch ein evolutiver Hemmschuh. Tracheenatmer sind in ihrer Größe limitiert und viel stärker vom Klima einer Region oder Epoche abhängig. Interessant ist, dass die Insekten lange Zeit keine bedeutende Rolle in der Erdgeschichte gespielt haben. Erst mit dem Aufkommen der Blütenpflanzen kam es zu ihrer Blüte – im wahrsten Sinn des Wortes. Offensichtlich gab es eine Koevolution zwischen Insekten und Blütenpflanzen. Ab diesem Zeitpunkt (Trias) gab es dann eine Explosion in der Artenbildung. Heute sind sie mit geschätzten 750.000 Arten die artenreichste Gruppe auf der Welt.

Neben dem Außenskelett (statische Gründe) ist es vor allem das Atmungssystem der Insekten, der für das Größenwachstum den limitierenden Faktor darstellt. Auch bei optimalen Temperaturverhältnissen können Insekten einen Durchmesser von 50mm kaum überschreiten. Rieseninsekten gehören also in den Bereich des irrealen Mythos. Insekten können daher nicht wirklich in Konkurrenz zu den Säugern treten, auch wenn dies manche befürchten!