Wednesday, July 15, 2009

Theorie der Unbildung

„Das, was Bildung seit jeher von Unbildung schied, die Fähigkeit zu einer reflexiven Distanz, gilt heute schlicht als Kulturpessimismus.“ – Mit diesem Zitat aus Konrad Paul Liessmanns kleinem Manifest ist eigentlich alles gesagt. Dem Wiener Philosophen und Studienprogrammleiter für Philosophie und Bildungswissenschaft geht es in diesem Buch allerdings weniger um eine elaborierte Theorie der Unbildung, wie es der Titel evoziert, als vielmehr um eine Kritik an der geistlosen und bildungsfeindlichen Reformwut in unserer so genannten Wissensgesellschaft. Natürlich macht er an vielen Beispielen klar, wie und wo sich Unbildung in unserer Gesellschaft manifestiert, eine theoretische Fundierung ist aber nur in Ansetzen vorhanden – vielleicht auch gar nicht möglich. Daher befasst sich der Autor vor allem mit den strukturellen und sozialen Ursachen der immanenten Tendenz zur Unbildung in unserer Gegenwartskultur.
Hier nur eine ganz kursorische Zusammenfassung: Wissen wird in unserer Gesellschaft derzeit degradiert und diffamiert, operative Informationen treten an seine Stelle, das ganze mündet dann in ein inhaltlich entleertes Wissensmanagement. Das ist Ausdruck einer Geisteshaltung, der es nicht mehr um Wissen, sondern nur noch um Verfahren zur Informationsverarbeitung geht. Die Frage nach Inhalt und Weltbezug ist verpönt. Der operative Erfolg ersetzt den Wahrheitsgehalt. Es geht nicht mehr darum, was ich lerne, sondern nur noch darum, wie ich lerne! Methode steht für Inhalt. Sachzwänge steuern die vermeintlich „freiwilligen“ Entscheidungen des Individuums. Wir sind zwar frei, haben aber keine andere Wahl. War Reform früher eine Rückführung in eine alte und bewährte Form, ist sie heute unhinterfragter Selbstzweck. Reform gebiert Reform und bringt keine beständige Form (Bildung) mehr hervor. Alles bleibt provisorisch und mangelhaft, der klassische Weg der kleinen Schritte gilt als kleinkariert und innovationsfeindlich. Bevor eine Reform noch greifen kann, ist auch schon die nächste im Anmarsch. Was aber Konrad Paul Liessmann dabei besonders aufstößt, ist, dass sich dieser Prozess auch jeder Kritik entledigt. Ein kritischer Geist ist nicht erlaubt, beurteilt wird nach Maßgaben des Marktes, der nicht hinterfragt werden darf. Das Zauberwort heißt „Evaluation“. Evaluiert wird aber nicht Wissen oder Bildung, sondern Prozedur und operative Leistung – Kant bliebe da wohl auf der Strecke. Der sichtbare Effekt, nämlich die sich ausbreitende Unbildung, die spätestens durch PISA offenkundig geworden ist, erzeugt wieder einen Reformzwang und zugleich den Ruf nach Eliten. Was Jahrzehnte gezielt bekämpft wurde, wird jetzt unhinterfragt wieder eingefordert. Wenn die Bildungsreformen nicht funktionieren, dann sollen neue Eliten das provozierte Defizit wettmachen. Und das bildungspolitische Newspeak unterstützt diese hermetische Elitenbildung. Damit würde aber Wissen wieder zu einem esoterischen Monopol werden, eine Entwicklung, der die bildungsfreundliche Aufklärung mit Vehemenz entgegengetreten ist. Wissensmonopole erzeugen dogmatisches Scheinwissen, nur ein öffentliches Wissen hat Aussicht auf Korrektur. Dass das alles Irrwege sind, sollte nicht nur durch die Argumente von Liessmann einleuchten. Wenn er allerdings die neue Rechtschreibung als symptomatisch für den falschen Weg anprangert, dann schießt er meiner Meinung nach etwas über das Ziel hinaus. Dass sich eine lebende Sprache verändert, ist evident, dass beim Anpassungsprozess einiges schief gelaufen ist, ist eine andere (vor allem politisch verpfuschte) Sache.
Die mutige Streitschrift von Konrad Paul Liessmann, die viele Aspekte der modernen Wissensgesellschaft als Farce entlarvt, sollte ein Standardwerk für all jene sein, die in der Bildungslandschaft oder in der Bildungspolitik tätig sind. Jedenfalls wird damit eine kritische Haltung in unserer so affirmativen und widerspruchsarmen Zeit gebildet!





Konrad Paul Lissmann
Theorie der Unbildung
Paul Zsolnay Verlag 2006



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