Sunday, August 22, 1999

Die Logik der Homophobie

die gefährliche verquickung von ethik und biologie

das argument der widernatürlichkeit spielt bei der verurteilung von homosexualität immer eine entscheidende rolle. die natürlichkeit eines phänomens lässt allerdings sich nur daran ermessen, ob es in natura vorkommt oder nicht. wie das buch von volker sommer über die homosexualität im tierreich zeigt, kommt homosexualität fast überall in der natur vor und ist von daher eigentlich als naturgegeben zu betrachten. klarerweise tun homophobe das gerne als entartung ab. aber das ist bereits ein moralisches urteil. jedes naturgegebene phänomen kann als entgleisung abgetan werden, trotzdem ist es vorhanden und von daher natürlich natürlich.

doch lassen wir die entscheidung darüber, ob homosexualität natürlich ist oder nicht, vorerst beiseite. wenden wir uns den möglichen argumenten pro und kontra homosexualität zu und analysieren wir deren form.

das erste argument ist das der widernatürlichkeit: falls die homosexualität im tierreich nicht vorkommt, ist sie moralisch zu verwerfen. bereits im römerbrief begegnet uns dieses argument. zwar kann der vordersatz als widerlegt betrachtet werden, dennoch wäre das argument gültig, falls der nachsatz stimmen sollte.

das zweite argument ist jenes der transnatürlichkeit: gerade dann, wenn homosexualität im tierreich nicht auftritt, ist sie unter menschen besonders hoch zu bewerten. so schrieb pseudolucian im 2. jahrhundert pCn: die löwen kennen solche liebe nicht, da sie auch keine philosophen sind. bären kennen solche liebe nicht, da sie nichts über schönheit wissen, die aus der freundschaft erwächst. auch hier gilt: das vorderglied ist zwar falsch, dennoch kann das ganze argument wahr sein, wenn der nachsatz als richtig anerkannt wird.

das dritte argument ist das der tierhaftigkeit: wenn homosexualität tierisch ist, ist sie unter menschen abzulehnen. dieses frühchristliche argument findet sich zum beispiel in der epistel des barnabas, einer apokryphe. hier stimmt jetzt der vordersatz, deshalb muss aber nicht zwangsläufig der ganze bedingungssatz stimmen.

das vierte argument ist auf den ersten blick das einleuchtendste: falls homosexualität im tierreich vorkommt, ist sie moralisch gerechtfertigt. hier impliziert die natürlichkeit des phänomens dessen rechtfertigung. formal gilt dasselbe wie bei argument drei: der vordersatz stimmt, der bedingungssatz kann aber dennoch falsch sein.

zusammenfassend lässt sich sagen, dass uns die natur keine argument pro oder kontra homosexualität liefert. in jedem einzelnen fall hängt die gültigkeit des arguments ausschließlich davon ab, ob der nachsatz für wahr oder falsch gehalten wird, da ein bedingungssatz (konditional) nur dann falsch ist, wenn das nachglied falsch ist (er ist äquivalent mit der aussage: es ist nicht der fall, dass A und nicht B). formal scheint es also so zu sein, dass wenn die homosexualität gut ist, automatisch die beiden argumente stimmen, die für sie sprechen. ist sie allerdings schlecht, stimmen die anderen zwei argumente.

doch achtung! es steckt ein fehler in allen vier argumenten. in jedem dieser konditonalsätze ist der vordersatz eine aussage über die natur der dinge, während der nachsätz plötzlich ein ethisches urteil enthält. es handelt sich also immer um die verknüpfung von existenzaussagen mit normaussagen. alle vier fälle sind sogenannte naturalistische fehlschlüsse, welche david hume erstmals entlarvt hat. es ist logisch unmöglich, vom sein auf ein sollen zu schließen bzw. soll-sätze aufgrund von seins-aussagen zu rechtfertigen. eine naturwissenschaftliche erklärung ist keine moralische rechtfertigung oder begründung und schon gar keine bindende norm. die natur kann also niemals grundlage einer ethik sein. hume hat daher den satz geprägt: no ought from an is!

aus demselben grund nennt wittgenstein die sätze der ethik sinnlos. da sie über keinen realen inhalt verfügen (sie beziehen sich auf nichts reales), kann von ihnen auch nicht gesagt werden, ob sie wahr oder falsch sind. sie haben kein logisches gewicht. die beurteilung solcher sätze ist daher immer unbegründet und unbegründbar. wittgenstein hat daher gemeint, dass über ethik nicht gesprochen werden kann: sie zeigt sich.

da uns also die natur keine argumentationshilfen liefert, will ich an die sache utilitaristisch herangehen. ich stelle daher die frage: wem nützt oder schadet homosexualität? und meine antwort lautet: sie schadet niemandem, nützt aber dem psychischen wohlbefinden der betroffenen; sie ist daher nicht als verwerflich einzustufen.

der angelpunkt einer moral kann immer nur der nächste sein: beeinträchtigt ihn eine handlung oder nicht. nach diesem prinzip ist alles erlaubt, sofern es keine negativen folgen für den anderen hat. das wäre die strikte formulierung. inwieweit die forderung in dieser strikten Form durchgehalten werden kann, ist zu diskutieren.

abschließend möchte ich noch erwähnen, dass die menschliche homosexualität nicht nur ein verhalten (behaviour) darstellt, sondern auch ausdruck eines psychischen affektes ist, nämlich der liebe!