Wednesday, May 31, 2000

Bewusstsein

Wenn ich in mich gehe und versuche, alle Wahrnehmung um mich auszuschalten, bleibt die Wahr-nehmung meiner selbst übrig. Ich kann diese nicht ausschalten – sie ist irreduzibel. Es bleibt meine körperliche Existenz und ihre Eigenschaft – die Bewusstheit. Die Seele ist die Harmonie meines Körpers. Ich habe keinen Körper – ich bin mein Körper. Wenn ich versuche, meinen Körper zu entfernen, so zerstöre ich auch dessen Harmonie – die Seele. Selbst ist ein reflexives Wort. Das Selbst bestimmt sich also in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Das Ich oder Ego ist erst ein Konstrukt der Neuzeit. Es ist bekannt, das zur Menschwerdung die Gesellschaft der Menschen gehört. Fehlt diese in der entscheidenden Phase, so stirbt man/frau. Ist eine nichtmenschliche Zuwendung vorhanden, dann stirbt man/frau zwar nicht, doch es entwickelt sich ein Wesen, dass unfähig ist, zu sprechen. Es reagiert wie ein Tier. Sprache ist also wesentlich für das entstehen einer menschlichen Bewusstheit. Doch Sprache ist kommunikativ. Communicare heißt: miteinander teilen, gemeinsam haben, verbunden sein. Es bezieht sich also auf Interaktionen und Gruppendynamiken. Sprache ist demnach ein gruppendynamischer Prozess, der dennoch ein Selbst etabliert. Gnwqi seauton meinte, erkenne deine Gebundenheit. Wir sind heutzutage zumeist auf dem Ego-Trip – aber Depressionen und psychische Defekte nehmen zu. Ich halte das nicht für gesund.

Physiologisch betrachtet scheint klar, dass meine mentalen Vorgänge das Resultat bio- und elektro-chemischer Vorgänge im Gehirn sind. Es bedarf keiner Substanz im engen Sinn. Auch Komputerpro-gramme sind immateriell – obwohl ich mentale Prozesse nicht mit Programmen gleichsetzen will. Es sind sogenannte Struktur- oder Systemeigenschaften des Gehirns, sogenannte Epiphänomene, teils intern motiviert, teils extern angeregt. Es bedarf einer gewissen Vorinformation um Außenreize richtig interpretieren und ordnen zu können. Hume nannte es Instinkt, Kant nannte es das Apriori. Heute spricht man/fau eher von Gestaltwahrnehmung und Sprachbegabung. Wie das Auge schon Vorin-formationen über die Außenwelt und ihre Beschaffenheit in seinem Aufbau besitzt, um etwas sehen zu können, hat auch das Gehirn solche strukturellen Vorinformationen. Ein Beispiel ist die Gestalt-wahrnehmung, die entscheidend ist, damit ein Kleinkind verschiedene Muster wiedererkennen kann. Ein weiteres ist meiner Meinung nach die – wie ich sie nenne – Vernunftbegabung. Sie ermöglicht den Erwerb der Sprache. Ethnologen haben festgestellt, dass alle Sprachen (und auch die Mehrzahl der Mythen) ein logisches Grundmuster aufweisen (Syllogismen werden in allen Sprachen richtig verstanden und beurteilt). Daher ist auch die Mathematik die universellste Wissenschaft.

Exkurs: Das Stammhirn erzeugt ständig Impulse, die typisch für das Wachbewusstsein sind. Zudem benötigt das Hirn aber auch äußere Reize. Für ein normales Bewusstsein ist ein bestimmter Erregungszustand charak-teristisch, ein Niveau, dass durch interne und externe Stimuli erzeugt wird. Ist die interne Stimulation zu niedrig, ist man/frau hyperaktiv - sozusagen high-sensation-seeking. Ist sie hingegen überdurchschnittlich hoch, reagiert man/frau introvertiert und verschlossen. Experimente, in denen äußere Reize total ausgeschaltet wurden, hielt fast keine Versuchsperson aus. Im Extremfall führte es zu temporären Wahnsinn.

Natürlich muss ich zugeben, dass hier ein gewisser Zirkel besteht – wenn auch ein weiter und kein enger. Doch das ist das Problem unserer Existenz und unserer Bewusstheit: wir können aus dieser Welt nicht austreten. Wir sind immer in ihr gefangen – daher ist es uns unmöglich, von einer höheren oder distanzierten Warte her die Welt zu beurteilen. Wir urteilen immer aus ihr heraus, weil wir Be-standteil der Welt sind. Der Zirkel kann nur auf pragmatische Weise gelöst werden – nicht auf logi-sche. Der Erfolg gibt uns recht.

Ein Einwand wird auch sein, dass es ein unabhängiges Subjekt der eigenen Wahrnehmung geben muss. Ich halte das nicht für denknotwendig, da es durchaus soetwas wie reflexive Wahrnehmung geben könnte. Außerdem sind Geist (Gehirn) und Körper völlig miteinander verwoben (man/frau be-trachte nur die afferenten und eferenten Nervenbahnen). Da man/frau sich seiner/ihrer selbst gewahr ist, nimmt man/frau sich also reflexiv selbst wahr (man/frau spiegelt sich im Selbst).

Exkurs: Der Beobachter ist immer auch ein Faktor in der Beobachtung. Nicht nur, dass er die Beobachtung inter-pretiert, ist er auch Teil des Vorgangs selbst. Das Wort beobachten drückt als aktives und transitives Verb schon eine Hinwendung aus. Der Geist ist auf etwas gerichtet. Beobachtung ist Interaktion zwischen mindestens drei Faktoren: Objekt, Medium, Subjekt. Beim Subjekt könnte noch zwischen Reiz, Reizleitung, Reizverarbeitung und Bewusstheit unterschieden werden. Doch es gibt einen kausalen Nexus zwischen all diesen Teilen. Daher ist es möglich, eine intersubjektive Übereinstimmung über ein Objekt zu erreichen.

Desgleichen ist es meiner Meinung ebenfalls möglich, intersubjektive Übereinstimmung über seeli-sche Vorgänge zu erhalten. Es ist sicherlich nicht vernünftig, Affekte wie Liebe, Hass, Freude, Lust, Trauer etc. zu leugnen – intersubjektiv herrscht allgemeine Übereinstimmung, dass es diese Affekte wirklich gibt. Nicht nur, dass sie sich bio- und elektrochemisch auch nachweisen bzw. sogar induzieren lassen, kann ich mein subjektives Erleben in anderen Menschen induktiv als analog betrachten und auch erleben. Auch das sind Systemeigenschaften des Gehirns.

Genau betrachtet, ist es schwierig eine Konstanz in der Bewusstheit zu postulieren. Das Selbst ist ebenso einem ständigen Wandel unterworfen wie alles übrige auch (auch mein körperliches Dasein). Doch es gibt zumindest eine kontinuierliche Geschichte – eine kausale Abfolge von Bewusstseinszuständen. Das Selbst meiner Kindheit ist nicht das Selbst meines Jetzt. Dennoch bin ich es gewesen. Somit ist eine gewisser Zusammenhang gegeben.

Ich bin eine Ganzheit. Es ist nicht möglich, mich in zwei Wesenheiten aufzutrennen. Ich bin kein Körper mit einer davon zu trennenden Seele – ich bin beides zugleich. Ich kann mich nicht von mir selbst abziehen. Die Seele ist die Harmonie meines Körpers.