Wednesday, January 31, 2007

Wahrheit – Ein Wegweiser für Skeptiker

Den Sinnen hast du dann zu trauen,
Kein Falsches lassen sie dich schauen,
Wenn dein Verstand dich wach erhält.
Johann Wolfgang Goethe



Nichts ist umstrittener als der Begriff Wahrheit. Alle möglichen Gruppierungen beanspruchen ihn allein für sich. Wechselseitige Verdächtigungen und Ablehnung des anderen (bis hin zur Auslöschung) sind die Folge. Daher scheint die Kritik prima facie verständlich, die (mit Wahrheitsanspruch) behauptet, dass der Begriff Wahrheit mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt. Doch kommen wir auch wirklich ohne dieses Konzept aus? Simon Blackburn, Philosoph in Cambridge, fühlt in seinem Buch „Truth – A Guide for the Perplexed“ diesem Begriff auf den Zahn. Er versucht darin, den Gehalt und die Bedeutung zu ergründen sowie die Veränderungen, die das Konzept im Laufe der Zeit erfahren hat, nachzuzeichnen.
Daraus ergibt sich der Befund, dass die Philosophie dabei nicht immer hilfreich ist. Das gilt insbesondere für die Gegenwartsphilosophie. Dennoch bemüht sich Blackburn, die Argumente und Gedankengänge der „Relativisten“ und „Postmodernisten“ nachzuvollziehen. Denn nur wenn diese Strömungen verstanden werden, kann ihnen auch etwas entgegengesetzt werden. Denn es ist sicher nicht egal, was für wahr gehalten wird oder woran Mann und Frau glaubt. Die Gefahr wird sehr treffend durch folgende Sentenz charakterisiert: Die Welt wird einem gleichgültig, wenn alles gleich gültig ist.
Letztendlich geht es um die Bedeutung unserer Gedanken und Redeweisen und der daraus folgenden Handlungen. Und Handlungen schaffen Tatsachen – wie das Wort selbstredend verkündet. War früher die Skepsis eine völlige Enthaltung von Urteilen, geboren aus der Einsicht in die Unvollkommenheit und Subjektivität der eigenen Weltsicht sowie aus Angst vor Dogmatismus, ist das moderne Pendant dazu zu einer Anerkennung aller widersprüchlichen Meinungen verkommen. Die Folge ist ein Aufblühen von unbegründeten Lehren ohne Rückendeckung in jede erdenkliche Richtung: Prophetie, Astrologie, Voodoo, Geomantik, Radiästhesie, Homöopathie, Wunder, Engel, Okkultismus, Satanismus, Aliens, Kreationismus, Management-Strategien, Psychotherapien, heilende Steine und viele andere Dogmatismen.
Blackburn sieht in dieser Entwicklung eine Gefahr für die Welt, obwohl er die Argumente der postmodernen Relativisten zum Teil anerkennt. Das Gegenstück – ein unverhohlener Absolutismus – ist ihm ebenfalls verdächtig. Doch wo liegt die goldene Mitte? Der Besitz der Wahrheit ist eine Sache, das Wesen der Wahrheit jedoch eine ganz andere.
Letztendlich kommt Blackburn zu dem Schluss, dass beide Seiten keine großen Siege davongetragen haben. Das Projekt der „Ersten Philosophie“ – einer alles begründenden Legitimation – ist jedenfalls als Illusion enttarnt. Wir können nicht aus der Welt heraustreten und sie von Außen objektiv betrachten. Doch heißt das, dass Erkenntnis unmöglich ist? Seine Antwort darauf lautet nein. Sobald ein wissenschaftliches Problem ausschließlich das Problem selbst ist, erscheint der Relativismus nur als unnötige Ablenkung. Daher sollten wir uns ohne weiteres und vor allem von wissenschaftlich begründeten Theorien inspirieren lassen, trotz aller Vorbehalte und Vorläufigkeit.


Simon Blackburn: Wahrheit – Ein Wegweiser für Skeptiker. Aus dem Englischen von Andreas Hetzel. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Primus Verlag), Darmstadt 2005.

Labels: