Monday, February 22, 1999

Die Metasprache und der Lügner

Wenn das Konzept der Metasprachlichkeit ernst genommen wird, so ergibt sich das Problem, in welche Sprachstufe die Aussagen dieser Theorie selbst gehören (N.N.). Die Theorie löst zwar viele Antinomien, erscheint aber jetzt selbst paradox. Wie lässt sich dieser innere Widerspruch auflösen bzw. lässt er sich überhaupt be­sei­tigen?
Ein Lösungsansatz scheint mir zu sein, die Sprachstufentheorie aufzugeben. Wäre es nicht ein­facher, anstelle von ganzen Metasprachen nur von Metabegriffen inner­halb ein und derselben Sprache zu sprechen? So umgehen wir das Problem, sagen zu müssen, in welcher Sprachebene die Theorie selbst angesiedelt ist, da sich alles inner­halb einer Sprache abspielt (was auch dem Alltags­verständ­nis entspricht). Alle kon­kreten Begriffe beziehen sich dann auf Dinge in der Welt, und seien sie auch sprachlicher Provenienz, wie zum Beispiel Schallwellen oder grafische Zeichen. Es gilt nur noch zu unterscheiden, auf welches Objekt sich das sprachliche Zeichen bezieht: nennt es das Signifikant selbst oder eben das Signifikat (Saussure). Da also jedes Wort formal zu­­mindest zwei grundverschiedene Gegenstände be­zeichnen kann, muss zwischen ur­sprüng­­lichem (eigentlichem) und metasprachlichem Gebrauch unterschieden werden, wobei diese nicht logisch gleichgesetzt werden dürfen.
Vielleicht ist Quines Ansatz hier nützlich, dass nicht zwischen verschiedenen Diskursarealen unter­schieden werden braucht, da sich die Differenzierung aus der Einsetzung der Individuen in eine Quanti­fikation ergibt. Wir müssen uns also nur die Referenz vergegenwärtigen.
Wenn ich nun versuche, diese modifizierte Theorie auf berühmte Antinomien anzu­wenden, löst sie dann auch ein, was von ihr erwartet wird?
„Heterologisch“ ist ein heterologisches Adjektiv. Nun, der Satz scheint wahr zu sein. Ursprachlich sind hier die Wörter ist und ein sowie heterologisch und adjektiv. Zu unter­scheiden ist hier nur der Begriff „heterologisch“, der sich jetzt nicht auf ein be­liebiges Adjektiv bezieht, sondern auf das schriftliche Gebilde selbst, also auf das Signi­fikant. Der Satz könnte nun folgendermaßen umgedeutet werden: Das sprach­liche gebilde „heterologisch“ (signifikant) wird verwendet, um Adjektive zu charakteri­sie­ren, die sich auf Außersprachliches beziehen, also heterologisch sind (signifikat).
Es unterscheidet sich hier nur die Verwendung des Wortes „heterologisch“. Einmal bezeichnet es etwas, einmal ist es selbst gemeint – als das bezeichnende Element. Und alles spielt sich in ein und derselben Sprache ab; differenziert werden nur mehr die divergierenden Referenzen der verwendeten sprachlichen Zeichen.
Der Kreter Kreon sagt, dass alle Kreter lügen. Hier scheint der Fall etwas schwieriger zu sein. Rein sprachlich gibt es hier zwei Ebenen: die ebene des Hauptsatzes und die ebene des subordinierten Nebensatzes – der indirekten Rede. Allerdings ist die Re­ferenz von „Kreter“ in beiden Fällen ur­sprachlich (signifikant). Der Unterschied be­steht nur darin, dass der Begriff „Kreter“ im Hauptsatz singulär auftritt, im Neben­satz je­doch generell (und zudem auch noch universell verallgemeinert). Mit der referen­ziellen Differen­zie­rung kommen wir also nicht weiter.
Im ersten Augenblick erscheint dieser Satz als wider­sprüchlich. Allerdings: wenn es stimmt, dass der Kreter Kreon sagte, dass alle Kreter lügen, ist der Satz: Der Kreter Kreon sagt, dass alle Kreter lügen natürlich wahr, auch wenn der Nebensatz eine Lüge beinhaltet.
Es ergibt sich also – auch wenn wir den Satz verneinen – kein Widerspruch, denn die Nega­tion des Nebensatzes besagt nicht, dass alle Kreter immer nur die Wahrheit sagen! Seine Verneinung wider­­spricht nicht der Behauptung, dass Kreon lügt. Und wenn wir dies tun, sagen wir nur, dass seine Aussage falsch ist, es gibt also einige Kreter, die die Wahrheit sagen; er ge­hört allerdings nicht dazu. (Ganz klassisch könnte argumentiert werden, dass ein Satz, der einen Widerspruch enthält, jedenfalls als falsch zu betrachten ist.)
Vielleicht ist hier die Theorie von Grice angebracht, die zwischen Bedeutung und An­deutung eines Satzes unterscheidet: Entweder deutet dieser Kreter aber an, dass alle Kreter – außer er selbst natürlich – lügen, oder aber er will ausdrücken, dass die überwiegende Mehr­­zahl der Kreter dazu neigen, die meiste Zeit zu lügen.
Wenn jemand ständig nur die Unwahrheit sagte, wäre es ziemlich durch­sichtig. Gute Lügen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht völlig falsch sind, sondern dass sie auch wahre Sätze enthalten, die die falschen verschleiern. Abge­sehen davon folgen aus falschen Sätzen immer auch wahre (ex falso quodlibet). Daher ist es schon formal nicht möglich, immer nur zu lügen!
Es scheint daher angebracht, den Satz folgendermaßen zu analysieren: Alle Sätze, die eine Empfindung, eine Äußerung oder einen Gedanken von etwas ausdrücken, sprechen eigentlich nicht direkt von Außersprachlichen (von Signifikaten), sondern beziehen sich auf das Gesagte, Geäußerte, Gedachte (also auf Signifikanten). In solchen Fällen ist ein ganzer Satz als Objekt der Referenz gemeint: Ich sage, dass…
Ich sage etwas. Dieses etwas steht für ein direktes Objekt, also sind alle Ein­setzungen dafür ebenfalls direkte Objekte des Hauptsatzes. Mit dem etwas ist dem­nach die Referenz gemeint, und die Referenz ist hier der subordinierte Nebensatz! Es ist von daher vielleicht auch kein Wunder, dass solche Sätze subordiniert sind, in vielen Sprachen noch durch einen Konjunktiv betont. Wir könnten den Sachverhalt auch so aus­drücken: der Nebensatz dient zur Kennzeichnung einer Pro­position.
Die Wahrheit eines solchen Satzes ist daher nicht vom Inhalt des subordinierten Satzes abhängig, sondern nur da­von, ob dieser Satz selbst jemals empfunden, ge­äußert, gedacht wurde. Auch hier bedarf es nicht gleich einer eigenen Meta­spra­che. Es genügt, den emp­fun­de­nen, geäußerten oder gedachten Satz als eige­nes (physi­­sches) Objekt auf­zu­fassen.
Es ist nicht so, dass der Hauptsatz einer übergeordneten Sprachebene angehört – er befindet sich im gewöhnlichen Sprachraum – sondern der Nebensatz kann als unter­geordnet aufgefasst werden (da es sich eigentlich nicht um einen eigen­stän­di­gen, signifikanten Satz handelt, sondern nur um den Namen für einen Satz, um sein Signi­fikat). Auch der Konjunktiv – häufig morphologisch nicht vom Irrealis unter­schie­den – verweist auf diese Subordination. Der Wahrheitsgehalt des gesamten Satzes ist da­her unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Nebensatzes.

Versuchen wir den Satz zu symbolisieren:
k: Kreon
K1: …ist Kreter
S²: …sagt…
L1: …lügt
l: „Alle Kreter lügen“

Ax (K1x -> L1x)
Ex (K1x & S²xl)
K1k & S²kl
K1k & Ax (S²k(K1x -> L1x)) Dies ist keine gültige Formel!