Thursday, July 22, 1999

Der Wellenritt am ewigen Jetzt

Betrachtungen zur Dichotomie der Zeit
Trennung von Zeitfunktion und Zeitachse


Die Zeit ist ein schwieriges Thema. Obwohl allgegenwärtig ist sie kaum greifbar. Sie erscheint uns als ewiges Jetzt, das die Zukunft von der Vergangenheit trennt -- dennoch läßt sie sich nicht auf einen Punkt reduzieren. Zeit ist immer auch Zeitspanne. Was ist das also: Zeit?
In der Physik begegnet uns die Zeit andauernd. Sie wird gemessen -- genauer gezählt -- an periodischen Bewegungen (Pendel, Rotation, Schwingungen). Eine solcher Periodizitäten wird herangezogen und mit anderen Vorgängen verglichen bzw. in Beziehung gesetzt. So erhält man ein Zeitmaß: dieser Vorgang benötigt die Zeit von soundsovielen dieser periodischen Einheiten. Das interessante dabei ist, dass sich in der neueren Physik zeigt, dass diese Art der Zeit keine Vergangenheit und keine Zukunft kennt, und außerdem eine inhärente Eigenschaft des Raumes darstellt (Zeitfunktion). Das heißt, dass in der klassischen Physik alle Vorgänge auch umgekehrt denkbar sind (die Vergangenheit ist gleich der Zukunft). Man kann sie daher auch geometrische Zeit nennen, da sie sich völlig geometrisch verhält. Sie entsprich einer Raumkoordinate: jeder Punkt in der Raumzeit ist einem Zeitpunkt auf dieser Zeitkoordinate zuordenbar. Doch ist damit jeder Zeitpunkt gleichwertig -- eine Zeitrichtung ist dadurch nicht festgelegt.
Zeit wird relativ und umkehrbar. Wir könnten theoretisch von einer Zeit in die andere springen, wenn es uns gelingt, Die Raumkoordinaten zu verkürzen (z.B. durch ein Wurmloch im Raum). Wir könnten unsere eigene Kindheit besuchen. Doch unsere Alltagserfahrung widerspricht solchen Vorstellungen. Kausalität ist mit dieser Vorstellung nicht kommensurabel.
Es gibt aber auch noch eine anderes Zeitmodell. Dieses eignet sich nicht zum Messen der Dauer von Vorgängen, erlaubt aber die klare Trennung von Vergangenheit und Zukunft: die entropische Zeit. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik zeichnet sich dadurch aus, dass er die Richtung von Abläufen definiert -- und somit die zeitliche Richtung (Zeitachse). Niedrigere Entropie bedeutet Vergangenheit, höhere Entropie Zukunft. Mit dem Einzug der Statistik in die Mechanik durch Boltzman sind auch diese Vorgänge großteils nicht mehr als reversibel zu beschreiben. Die Vegangenheit ist nun durch die Entropiegrenze -- den Gegenwartstransienten -- von der Zukunft getrennt. Der Weg zurück ist ausgeschlossen. Dieser Transient läßt nur eine Richtung zu, daher ist die entropische Zeit irreversibel: ein zerbrochenes Glas wird von selbst nie wieder ganz.
Eigentlich ist nur dieser Transient real. Die Zukunft existiert noch nicht und die Vergangenheit nicht mehr. Wir reiten sozusagen auf einer Gegenwartswelle durch die Raumzeit, ewig im Jetzt gefangen. Oder anders ausgedrückt: Wir stehen am Horizont der Vergangenheit. Wir sehen zwar die Vergangenheit, nicht aber die Zukunft. Denn die Vergangenheit war jeweils für einen Augenblick Realität, die Zukunft aber nicht. Diese Front schiebt sich ständig weiter und hinterläßt das Vergangene.
Als die vierte Dimension wird gemeinhin die Raumzeit betrachtet. Es handelt sich jedoch nicht uin eine metrische Dimension, da ja die vierte Größe nicht in Metern, sondern in Sekunden gemessen wird. Es handelt sich daher nicht um m', sondern um m3s!
Da es sich bei der Zeit um ein räumliches Phänomen handelt, das untrennbar mit der Körperwelt verwoben ist, ist es mathematisch auch sinnvoll, sie als Einheit zusammenzufassen. Es Ist eine alt- bekannte Tatsache, daß man, um Ereignisse als faktisch darzustel- len, sowohl ihren Ort als auch ihre Zeit angeben muß. Dies sind sozusagen die Koordinaten der Raumzeit. Nur so ist das Ereignis eindeutig iin Raum festgehalten.
Da jeder Körper ein zeitliches (sprich endliches) Phänomen dar- stellt, ist er ohne den Zeitbezug nicht greifbar. Und das drückt die Raumzeit aus. Außerdem stehen alle Ereignisse und Körper (oder vielleicht besser alle Ereigniskörper) nicht nur in einem räumlichen, sondern auch in einem zeitlichen Bezug zueinander.
Es ist das Unberücksichtigtlassen der Entropie, die den Kosmos ebenfalls beherrscht, die es manchen Physikern immer wieder schlüssig erscheinen lässt, dass Zeitreisen in die Vergangenheit möglich wären. Doch was mathematisch beschreibbar ist, muss nicht realiter so sein. Die empirischen Nachweise für diese metaphysischen Spekulationen bleiben ja bekanntlich aus. Mathematik und Logik liefern uns keine Erkenntnisse über die Welt -- sie loten nur Prämissen aus. Die Erkenntnis kann nur auf Tatsachen aufbauen, sonst besitzt sie kein Fundament (dieses selbst ist schon wackelig genug).
Die Raumzeit ist mit logischen Mitteln erfassbar, die entropische Zeit ist es nicht. Wäre die Raumzeit unabhängig von der Entropie (bzw. ohne sie) gegeben, wären die obengenannten Implikationen zulässig. Doch die Entropie schränkt sie erheblich ein. Plötzlich ist es nicht mehr ohne weiteres möglich, von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen, da die Vorgänge statistischen Gesetzen gehorchen (oder besser: nur statistisch beschreibbar sind). Uns fehlt also die logische Gewissheit.
Steven Hawkins hat mit seinem Ausspruch: Schwarze Löcher haben keine Haare erstmals die Bedeutung der Entropie in der Kosmologie und Astronomie gewürdigt. Auch Schwarze Löcher sind demnach dissipativ und besitzen eine Vergangenheit und eine Zukunft -- also eine entropische Zeit, auch wenn die Raumzeit aufgehoben scheint. Es gibt keine Spanne mehr zwischen Vergangenheit und Zukunft -- die raumzeitlichen Dimensionen fehlen. Für das Schwarze Loch existiert keine Zeit zwischen Entstehen und Vergehen.