Saturday, March 27, 1999

Wahrnehmungswörter

Die Logik der Wahrnehmungswörter

1. Prolog
Das Thema des Referates ist die Logik von Wahrnehmungswörtern; es handelt sich dabei naturgemäß um Verben, um Prädikate bzw. um verbale Prädikatkonstruktionen.
Linguistisch betrachtet lassen sich bei Verben grob folgende Wortarten unterscheiden: Tätigkeits-, Vorgangs-, Zustands- und Geschehenswörter. Außerdem gibt es die prinzipielle Einteilung in transitive und intransitive Verben. Intransitive Verben erlauben einstellige Prädikationen, transitive Verben ergeben mindestens zweistellige Prädikationen. Hier geht es um Wörter der Wahrnehmung, also um transitive Verben. Diese lassen sich wieder folgend differenzieren: Tätigkeits-, Beobachtungs- und Leistungswörter (task-, observation-, and achievementwords). Um den Unterschied zu verdeutlichen, seien hier die Aspekte sowie Beispiele zu den drei Aktionsarten angeführt. Durchgestrichene Konstruktionen zeigen grammatikalische Unmöglichkeiten an:
Words Aspekte Beispiele
task durativ dynamisch Er sucht es eine Stunde lang.
Es wird gesucht.
Das gesuchte Etwas.
Suche es!
Er sucht es freiwillig.
observation durativ statisch Er hat es eine Stunde lang.
Es wird gehabt.
Das gehabte Etwas.
Habe es!
Er hat es freiwillig.
achievement punktuell/episodisch Er fand es eine Stunde lang.
Es wird gefunden.
Das gefundene Etwas.
Finde es!
Er findet es freiwillig.
Übrigens erlauben durativ-statische Verben im Englischen keine Gerundivkonstruktion (He is knowing it). Daneben ist noch anzumerken, daß unvollendete Durativa einen perfektiven Aspekt implizieren, nicht aber punktuelle Verben:
Er suchte gerade etwas, als ich eintrat.
Das heißt: Er hat also etwas gesucht.
Er fand gerade etwas, als ich eintrat.
Das heißt nicht: Er hat also etwas gefunden.
Soweit zur Klärung, um welche Wörter es sich im folgenden Referat handelt.

2. Ryle
Ryle meint, daß Wahrnehmungs- oder Erkenntniswörter in gewisser Weise den Leistungswörtern entsprechen. Leistungwörter münden in eine bestimmte Leistung (d.h. Erfolg oder Mißerfolg). Sie sind gewissermaßen perfektivisch in ihrer Verwendung. Daher lassen sich einige Adverbien, nämlich solche mit durativen Charakter, nicht anwenden (siehe obige Aufstellung). Außerdem behaupten sie das Bestehen eines Sachverhaltes: Wenn ich einen Fehler finde, so exisiert auch ein Fehler! (Wenn ich einen Fehler suche, muß dies nicht der Fall sein.) Daher gilt für Wahrnehmungswörter: Wenn eine Person A einen Gegenstand X sieht und dies auch wahr ist, dann existiert der Gegenstand X.
Es gilt dabei zu bedenken, daß die Subjunktion nur dann falsch ist, wenn das Sukzedens falsch ist. Es ist daher nicht der Fall, daß, wenn eine Person A einen Gegenstand X sieht, somit automatisch der Gegenstand X existiert. Es ist immer das Sehen im ureigensten Sinn gemeint. Wenn es also simmt, daß die Person es sieht, dann existiert es. Ansonsten halluziniert sie nur. Es ist darum meiner Meinung nach nicht viel gewonnen, denn es ist nicht verifizierbar, ob die Aussage A sieht X stimmt. Sie ist bestenfalls falsifizierbar durch den Nachweis, daß X nicht existiert. Doch wie prüft man dies? Hier beginnt das Problem von neuem.
Doch zurück zu Ryle. Zu beachten ist aber, daß in der Umgangssprache der Gebrauch von Wahrnehmungswörtern variiert. Sie werden einmal als Beobachtungswörter, dann wieder als Erfolgswörter verwendet. Um den Unterschied zu verdeutlichen, sei eine Tabelle angeführt:

Beobachtung Leistung
suchen finden
lauschen hören
verfolgen erwischen
kosten schmecken
schnuppern riechen
sehen, wie sehen, daß

Hier ist vielleicht der geeignete Platz um zu bemerken, daß in der Linguistik die Wahrnehmungswörter oft als eigene Gruppe behandelt werden, um diesen wechselnden Gebrauch zu charakterisieren. Aus dem Lateinunterricht dürfte so manchem noch der Ausdruck Verba sentienti ein Begriff sein. Als Leistungwörter verlangen sie im Latein einen AcI, im Deutschen einen Objektsatz. Als Beobachtungs-wörter benötigen sie einen Modalsatz.
Interessant in diesem Zusammenhang ist eventuell auch die Etymologie des Wortes Wissen. Es ist dem Sanskritwort Weda urverwandt und entstammt dem Perfektstamm des Wortes für sehen. Im Latein und im Altgriechischen ist der Zusammenhang noch deutlich:
video (ich sehe) - vidi (ich weiß); eido (ich sehe) - oida (ich weiß). Etymologisch betrachtet ist also etwas, das ich gesehen habe, auch etwas, das ich jetzt weiß. Wissen impliziert demnach vorheriges Wahrnehmen.
Ryle geht in seiner Analyse so weiter, indem er feststellt, daß eine Beobachtung die Existenz von mindestens einer Empfindung impliziert. Doch was unterscheidet eine Empfindung von einer Beobachtung? Beobachten kann man genau, ungenau, vergeblich etc. Es ist aber nicht möglich, genau, ungenau, vergeblich etc. zu empfinden. Die Empfindung gehört in den Bereich der Privatwelt, sie ist nicht teilbar. Etwas können mehrere beobachten, empfinden kann man nur selbst (Nur der Träger weiß, wo ihm der Schuh drückt). Für Ryle werden Beobachtungswörter oft einfach falsch verwendet. Man kann eine Empfindung nicht beobachten, genausowenig wie man den Buchstaben A nicht buchstabieren kann. Man kann Empfindungen nur haben. Er akzeptiert damit die äußere Wahrnehmung, leugnet aber zugleich die Existenz einer inneren Wahrnehmung. Die interne Repräsentation der Außenwelt wird nicht perzipiert, sondern ist einfach gegeben (hervorgerufen durch die vorangehende Perzeption der realen Außenwelt).
Gegen einen phänomenologischen Ansatz wendet er ein, daß das postulieren von Erscheinungen, die man von den Objekten wahrnimmt, die Welt nur verdoppelt, ohne dadurch ein besseres Verständnis zu erzielen (vgl. das aristotelische Argument gegen Platons Reich der Ideen). Zu dem Bereich der realen Objekte kommt nun auch noch der Bereich der Erscheinungen, der sich zwischen Objekt und perzipierendes Subjekt schiebt. Für Ryle ist es aber so, daß man Objekte und nicht Erscheinungen wahrnimmt. Wenn einem ein Scheinwerfer blendet, dann gibt es keine Erscheinung des Geblendetseins, sondern wenn man hinschaut, dann geschieht es einfach, daß einem das Licht blendet. Analog würde niemand auf die Idee kommen zu sagen, es gibt die Erscheinung, daß ein Fahrrad öS 5.000,- kostet. Wenn man es kauft, dann hat es öS 5.000,- gekostet, aber der Preis haftet dem Fahrrad nicht eigentümlich an!
Zum Abschluß sei noch ein vielsprechendes Zitat von Ryle angeführt (Seite 320): Nur einer, der Jäger von Torpfosten unterscheiden kann, kann einen Torpfosten für einen Jäger halten; und nur einer, der weiß, wie weiße Mäuse aussehen, kann sich einbilden, weiße Mäuse zu sehen, ohne zu wissen, daß er sich nur etwas einbildet.

3. Kutschera
Kutschera geht in seiner Interpretation sogar noch weiter als Ryle und behauptet, daß es nicht der Fall sei, daß eine Person A einen Gegenstand X sieht, und der Gegenstand X nicht existiert.
~(S(a,p) & ~p)
Er versucht nun eine Analyse der starken Interpretation der Wahrnehmungswörter analog dem Verhalten von Wissen zu Glauben (Beobachten ist demnach subjektiv, Wahrnehmen nicht):
A) Wenn eine Person A den Sachverhalt X beobachtet, dann ist der Person A der Sachverhalt X evident. B(a,p) -> E(a,p)
B) Wenn eine Person A den Sachverhalt X beobachtet, so glaubt die Person A, daß der Sachverhalt X ist. B(a,p) -> G(a,p)
C) Wahrnehmen ist das Beobachten von Tatsachen. W(a,p) = B(a,p) & p
Sein Zwischenergebnis lautet daher: Beobachtungen sind problemlos, aber nicht verläßlich; Wahrnehmungen sind verläßlich, aber nicht problemlos.
D) Wenn einer Person A ein Sachverhalt X erscheint und wenn die Person A den Sachverhalt X glaubt, dann beobachtet die Person A den Sachverhalt X. S(a,p) & G(a,p) -> B(a,p)
E) Wenn eine Person A den Sachverhalt X beobachtet, dann erscheint der Person A der Sachverhalt X. B(a,p) -> S(a,p)
Ergo gilt: Genau dann, wenn einer Person A der Sachverhalt X erscheint und diese Person A den Sachverhalt X glaubt, dann beobachtet die Person A den Sachverhalt X.
S(a,p) & G(a,p) <-> B(a,p)
Diese Analyse ist zwar eine gute Schulung in Sachen Logik, bringt aber meiner Meinung nach nicht viel. Zudem werden die hier benutzten Begriffe sehr unkonventionell gebraucht. Kein Mensch verwendet das Wort beobachten im oben definierten Sinn. Ein Verb dieser Gebrauchsart ist scheinbar im Alltag entbehrlich.

4. Abschlußbemerkungen
Wie schon im zweiten Kapitel angedeutet, bring das Konzept des Erfolgsverbs nicht viel, da die Unsicherheit, ob die Subjunktion wahr ist, bleibt. Trotzdem ist es sicher nicht sinnvoll, jede Wahrnehmung daher für gleich fehlerhaft zu betrachten - dieser totale Skeptizismus ist unpraktikabel. Man muß sich nur bewußt machen, daß es nicht so ohne weiteres möglich ist, die Wahrheit oder Falschheit eines Urteils zu postulieren. Aus pragmatischer Sicht ist es aber durchaus sinnvoll, einen zumindest sehr wahrscheinlichen Erfolg der Wahrnehmungswörter anzunehmen, da es ansonsten sinnlos ist, auch nur irgendetwas über die Welt zu sagen. Denn wir füllen schließlich ständig Urteile aufgrund unserer Wahrnehmung. Und im großen und ganzen fahren wir ganz gut damit. Man kann vielleicht auch biologistisch argumentieren (Evolutionstheorie): Die Sinnesorgane sind dafür vorgesehen, erfolgreich zu sein!
Zu den Verba sentienti möchte ich noch eine eigene Analyse anführen. Normalerweise verhalten sich transitive Verben wie folgt: Sie verlangen mindestens zwei Substantiva: ein Agens oder Ergativum und ein Patiens oder Akkusativum.
Wahrnehmungswörter scheinen aber folgende Situation aufzuweisen: Auch sie benötigen zwei essentielle Substantiva: ein Agens und ein Patiens, sind daher grammatikalisch den anderen transitiven Verben gleichgestellt. Physikalisch scheint die Sache etwas anders zu liegen. Hier ist das Subjekt sowohl Agens (Reizverarbeiter) als auch Patiens (Reizempfänger), das Objekt aber Agens (Reizauslöser). Was sprachlich nicht zum Ausdruck kommt, ist, daß es sich hier eigentlich sogar um drei physikalische Entitäten handelt, es fehlt noch das Medium (Licht, Schall etc.). Das Objekt des Satzes hat eine Wirkung auf das Medium, und das Medium hat eine Wirkung auf das Subjekt des Satzes, der hinwiederum diese Wirkung mental verarbeitet und eventuell mit besonderer Hinwendung auf das Objekt reagiert.
In der Teilchenphysik ist es sogar so, daß das Medium Einfluß auf den Zustand des beobachteten Objektes nimmt. Daher ist die Wahrnehmung medienabhängig.
Mir kommt es so vor, als stehen die Verba sentienti in ihrer Funktion dem Verb sein näher als den anderen transitiven Verben, allerdings ohne den Aspekt der Identität (übrigens ist das Verb sein in den semitischen Sprachen transitiv, verlangt also ein Akkusativobjekt). Eher drücken sie eine Reziprozität aus. Das Verb steht für das Medium und drückt die Wechselbeziehung bzw. Vermittlung zwischen den beiden Substantiven im Satz aus.

5. Literatur

Gilbert Ryle: The concept of mind, 1949

Franz Kutschera: Grundlagen der Erkenntnistheorie, 1982