Thursday, April 19, 2007

Was Sprache ist...

Was Sprache ist
Was Sprache kann

Am Anfang war das Wort… heißt es im Johannesevangelium. Wort ist hier in einem sehr umfassenden Sinn gemeint: als Begriff, als Satz, als Aussage, als Sprechakt und als Vernunftprinzip. Es ist eine Anspielung auf die Philosophie von Heraklit: Die Sprache als Sprachvernunft ist der Anfang des (menschlichen) Seins.

Doch was ist Sprache? Hier ein paar historische Aussagen:

Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen (Dante Alighieri).

Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken (Samuel Johnson).

Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache (Wilhelm Humboldt).

Das menschlichste, was wir haben, ist doch die Sprache (Theodor Fontane).

Jedes Wort ist ein Vorurteil (Friedrich Nietzsche).

Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt (Ludwig Wittgenstein).

Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd der Gedanken (Karl Kraus).

Die Sprache ist das Haus des Seins (Martin Heidegger).

Sprache ist nicht, sie geschieht (Heinz Foerster).

Der Leser bestimmt den Inhalt der Nachricht (Heinz Foerster).

Was ist nun Sprache? Sie ist ein soziales Phänomen, dass der Informationsvermittlung dient. Sie ist nicht starr, sondern variabel und veränderbar. Zugleich ist sie komplex strukturiert und lässt mehrere Ebenen erkennen. Am klarsten wird die Funktions-weise von Sprache durch das Organonmodell nach Karl Bühler:




Man kann aber Sprache auch als Norm, als kulturell-historisches Phänomen, als Zeichensystem, als informationsverarbeitendes System oder als bloßes Verhalten betrachten. Daneben spielen auch viele andere Faktoren eine Rolle: Semantik, Prosodie, Referenz, Konnotation, Kontext u.v.m. Für die große Bedeutung des Kontextes, der entgegen der landläufigen Meinung keineswegs linear ist, sei folgendes Beispiel angeführt: Das unaufmerksame Mädchen hörte mit seinen Ohren, die ihm viel zu groß geraten waren, erst dann zu wackeln auf, als die Gefahr direkt vor ihm stand. Aber jetzt erfasste es die Situation, die sich immer mehr zuspitze und seinen Träumen ein jähes Ende bereiten könnte, immer noch nicht.

Ein Beispiel für die Bedeutung der Prosodie ist folgendes Gedicht:
alles böse wünsch ich dir
fern vom leibe bleibe mir
alles unglück treffe dich
niemals denk an mich
Oder:
alles böse
wünsch ich dir fern vom leibe
bleibe mir alles
unglück treffe dich niemals
denk an mich

Nicht die einzelnen aneinander gereihten Wörter, sondern die Sätze (Propositionen oder ausgedrückte Gedanken) sind also die Grund-elemente der menschlichen Sprache. Oder wie Steven Pinker es ausdrückt: Sätze besitzen Eigenschaften, die von denen ihrer Elemente völlig abweichen. Daher sollten wir der Begriffsfalle entgehen: Wir sollten uns darin üben, mehr auf Aussagen und deren Inhalt und weniger auf die Bedeutung der einzelnen Wörter zu achten (Jürgen August Alt). Dabei ist zu beachten, dass es verschiedene Typen von Aussagen gibt, die auch unterschiedlich behandelt werden müssen:





Für uns von besonderem Interesse sind aber die fiktiven Aussagen. Formal gehören sie ebenfalls zum informativen Typ, lassen aber die Wahrheitsfrage nicht zu, da sie ja kontrafaktisch sind. Hier lässt sich nur festhalten, ob die Aussagen in sich stimmig (konsistent) sind.

Daneben gibt es bei jeder Aussage auch vier Ebenen, die den Sinn dahinter modifizieren und den Satz mehrdeutig machen. Praktisch handelt es sich hier um den emotionalen Inhalt einer Äußerung. Wir sprechen daher von den vier Seiten einer Nachricht:

1. der Sachinhalt (worüber informiere ich?)

2. der Appell (wozu will ich dich veranlassen?)

3. die Beziehungsaussage (was halte ich von dir?)

4. die Selbstoffenbarung (was gebe ich von mir kund?).

Nun zum Definitionsversuch: Sprache ist der Ausdruck und die Ver-mittlung von Gedanken, Gefühlen und Willensregungen durch Zei-chen, Gebärden und insbesondere durch Laute. Die menschliche Sprache ist Trägerin des kollektiven Gedächtnisses und damit der Kultur. Sie konstituiert den Menschen als Menschen und erzeugt eine innere Karte seiner Lebenswelt.

Leonard Bloomfield konstatierte: Die Gesamtheit aller möglichen Äußerungen in einer Sprachgemeinschaft ist die Sprache dieser Sprachgemeinschaft. Und Friedrich Rückert meinte ganz richtig: Sprachkunde, lieber Sohn, ist Grundlag allen Wissens, derselben sei zuerst und sei zuletzt beflissen!

Weiterführende Literatur:

Chomsky, Noam: Reflexionen über die Sprache. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1998.

Foerster, Heinz: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. Verlag Carl-Auer-Systeme 2004.

Hörmann, Hans: Meinen und Verstehen, Grundzüge einer psycho-logischen Semantik. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1994.
Humboldt, Wilhelm: Schriften zur Sprache. Reclam 1973.

Schneider, Wolf: Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache. Serie Piper 1996.

Vater, Heinz: Einführung in die Sprachwissenschaft. UTB, Fink Verlag 2002.

Whorf, Benjamin: Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie. Rohwolt 2003.

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