Die slowenische Sprache
Nichts ist schwerer, als eine Sprache zu definieren. Landläufig wird eine Sprache politisch charakterisiert: ein kodifizierter Standard (Akrolekt), der innerhalb bestimmter Grenzen formale Gültigkeit besitzt, wird als eigenständige Sprache angesehen. Natürlich kann das einen Linguisten nicht befriedigen: Wo bleiben hier die Sprachminderheiten? Wo die lokalen Varianten? Häufig kann ein Sprachwissenschaftler keine festen Grenzen zwischen Sprachvarianten ausmachen, somit sind Sprachen für ihn einigermaßen homogene Ausschnitte oder durch bestimmte Gemeinsamkeiten gekennzeichnete Dialektgemeinschaften innerhalb eines verschwimmenden Kontinuums. Und dieses Kontinuum ist nicht nur räumlich zu verstehen, sondern auch zeitlich!
Noch komplizierter wird es, wenn zwei unterschiedliche Sprachgruppen aufeinander stoßen bzw. sich durchdringen. Hier erfolgen Wechselbeziehungen, die oft nur schwer zu überschauen sind. Und genau in einer solchen Situation befindet sich auch die slowenische Sprache. Zwar gibt es im Norden eine einigermaßen klar definierte Grenze (obwohl es auch hier gegenseitige Beeinflussungen gibt), im Süden finden sich jedoch mehrere slowenisch-kroatische Mischdialekte.
Sprachwissenschaftlich betrachtet gehört das Slowenische zur südslawischen Sprachengemeinschaft, die wiederum zum slawischen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie zählt. Damit sind schon einige Grundcharakteristika festgelegt: Als Angehörige des Indogermanischen handelt sich um eine flektierende Sprache mit zum Teil heteroklitischen Stämmen (das sind Wortstämme mit wechselndem Lautbild) und einem Übergewicht an Konsonanten im Vergleich zu den Vokalen (mehrere Konsonanten hintereinander sind keine Seltenheit). Das Slawische zeigt eine starke Tendenz zur Palatalisierung, wodurch es in der Folge zu einem auffallenden Reichtum an Zischlauten kommt.
Ebenfalls auffällig für die slawischen Sprachen ist die Umstellung der Vokale in Verbindung mit L und R. Während die Ostslawischen Sprachen eine Volllautung (Polnoglasije) aufweisen, stellen die anderen Vertreter den Konsonanten dem Vokal voran (gorod – grad – Garten; bereg – breg – Berg). Wie das Deutsche kennen auch die slawischen Sprachen eine Auslautverhärtung. Allerdings wird diese durch eine regressive Angleichung der Stimmhaftigkeit gemildert. Sieben Fälle und drei Geschlechter sind die Regel. Bei den männlichen Hauptwörtern wird auch noch zwischen belebt und unbelebt differenziert, wobei die belebten Wörter im Akkusativ die Endung des Genetivs aufweisen. Zwischen den Hauptwortern und den Eigenschaftswörtern herrscht eine ungleichmäßige Kongruenz, d.h. die Fälle werden je nach Wortart anders gebildet. Die Nomen und Attribute sind synthetisch flektiert, die Verben neigen zu analytischen Formen. Charakteristisch sind auch die Aspekte bei den Verben: Es wird bei den Zeitwörtern zumindest zwischen abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Handlungen unterschieden. Die Bildung der Aspekte ist sehr vielfältig und unterliegt keinen Regeln.
In der Überlieferung traten slawische Stämme erstmals am Anfang des 6. Jahrhunderts aCn ins Licht der Geschichte. Von den Chronisten des Oströmischen Reiches „Sclaveni“ genannt, drangen diese Krieger und Bauern im Gefolge der Awaren aus dem Raum zwischen Weichsel und Dnjepr in südwestlicher Richtung vor. In den folgenden Jahrhunderten nahm der Einfluss der Slawen in Osteuropa beständig zu. Mit der Zeit differenzierten sich drei Gruppierungen: Ostslawen (Großrussen, Belorussen, Ukrainer), Westslawen (Polen, Tschechen, Slowaken, Sorben, Polaben und Kaschuben) und Südslawen (Serben, Kroaten und Bosnier [Serbokroaten], Bulgaren und Makedonen sowie die Slowenen). Bulgarisch und Makedonisch besitzen eine Sonderstellung. Allerdings gibt es guten Grund zu der Annahme, dass zumindest etwa ⅔ des Wortschatzes der slawischen Sprachen noch übereinstimmen. Später wurde der lateinische Volksname "Veneti" auf die Slawen angewendet, da die Slowenen in den Ostalpenraum bis nördlich der Adria (Veneto) vordrangen. Davon kommt das vor allem in Ortsnamen noch häufig auftretende Attribut "windisch" sowie die Bezeichnung "Wenden" für die Sorben Ostdeutschlands.
Die künstliche Teilung der slowenischsprachigen Bevölkerung in „Slowenen“ und „Windische“ entspringt der deutsch-nationalen Propaganda und entspricht nicht der Wirklichkeit. Natürlich gibt es im zweisprachigen Gebieten viele Wechselwirkungen, eine Tatsache, die sich vor allem in einem teilweise gemeinsamen Wortschatz ausdrückt. Aber mit gleichem Recht müsste dann einen Großteil der österreichischen Bevölkerung als „Windisch-Deutsche“ bezeichnet werden, da auch das Süddeutsche mit vielen Slawismen durchsetzt ist. Außerdem ist zu betonen, das eine gegebene Sprachgemeinschaft absolut nichts über die ethnische Zugehörigkeit ihrer Sprecher aussagt.
Die sprachliche Identität der Stämme geht mit der Verschriftlichung einher, und diese ist eine Folge der Christianisierung. Dabei machen sich hier die Einflusssphären von Ost- und Westkirche bemerkbar. Während die Ostkirche – wie dort üblich – den neuen Sprachen jeweils eine eigene Schrift zu geben versuchte, stülpte die Westkirche das Latein als Vatersprache über die Muttersprachen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich im orthodoxen Bereich das „Altkirchenslawisch“ als Kirchensprache mit eigener slawischer Schrift etablierte, in der in der Folge dann auch die lokalen Sprachen geschrieben wurden. Im katholischen Bereich hingegen kam die lateinische Schrift für die slawischen Sprachen zur Anwendung.
In diesem Zusammenhang müssen die beiden orthodoxen Missionare Kyrillos und Methodios erwähnt werden, die im 9. Jahrhundert das erste slawische Alphabet für die Bibelübersetzung entwickelten. Auf Kyrillos selbst geht die kurz in Böhmen und bis ins 19. Jahrhundert am Balkan gebräuchliche Glagoliza zurück. Ab dem 10. Jahrhundert wurde sie nach und nach von der fälschlich nach ihm benannten Kyrilliza verdrängt, die sich aus der griechischen Unzialschrift entwickelt hat. Sie wird mit wenigen Abwandlungen noch von den Russen, den Bulgaren und den Serben benutzt. Doch gibt es um die Entstehung der beiden Schriftsysteme viele Unklarheiten.
Das Altkirchenslawisch geht auf das Altbulgarische zurück, da sich in Bulgarien unter einer Turkherrschaft, die sprachlich allerdings nicht überlebte, der erste slawische Staat nach Vorbild des feudalen christlichen Europas entwickelte.
Im Großreich Mähren sowie im Nordwesten des Balkans nahm mit der Zeit jedoch im Zuge der fränkischen Herrschaft der römisch-katholische Einfluss immer mehr zu. Bis auf die Kroaten, die zum Teil bis ins 19. Jahrhundert an der Glagoliza festhielten, wurde in diesen Bereichen die lateinische Schrift verwendet. Die ältesten slowenischen Dokumente sind die "Freisinger Denkmäler" (Brižinski spomeniki) aus dem 11. Jahrhundert, bestehend aus zwei Beichtformeln und einer Beichthomilie. Für die Herausbildung der modernen Orthographie war allerdings der Reformator Jan Hus entscheidend. Er fügte für die Übersetzung der Bibel ins Tschechische diakritische Zeichen hinzu, um eine phonetische Schreibweise zu ermöglichen. Allerdings wurde sein diakritischer Punkt später zu dem bekannten Haček, der vielen slawischen Sprachen ein charakteristisches Schriftbild verleiht. Auch für das Slowenische wurden diese Sonderzeichen zum Teil übernommen.
Diese Trennung in östlicher und westlicher Einfluss-Sphäre zeigt sich am deutlichsten bei Kroaten, Serben und Bosniern, deren gemeinsame Sprache durch Religion und Schriftsystem geteilt wird.
Wenn man die südslawischen Dialekte nach dem Wort für "was" in štokavische, kajkavische und čakavische Sprachen einteilt, so steht das Slowenische der kajkavischen Gruppe nahe, währenddessen die 1851 in Wien kodifizierte serbokroatische Standardsprache auf einer štokavischen Variante basiert.
Obwohl das Slowenische mit den "Freisinger Denkmälern" (s.o.) über das älteste slawische Sprachdokument verfügt, kam es erst im 16. Jahrhundert im Zuge der Reformationsbewegung zu seiner sprachlichen Entfaltung. Entscheidend für diese erste Blüte war die Übersetzung des Katechismus durch Primož Trubar (1508—1586), die Bibelübersetzung von Jurij Dalmatin (1547—1589), sowie die slowenische Grammatik von Adam Bohorič (1520—1600), einem Schüler Melanchthons. Seine orthographischen Regeln behielten bis 1843 ihre Gültigkeit.
Abgesehen von der Zeit der Gegenreformation, in der die Habsburger die Verbrennung aller slowenischen Bücher (insbesondere der slowenischen Bibeln) verfügten, konnte sich das Slowenische in der österreichischen Reichshälfte der Doppelmonarchie relativ unbehelligt entwickeln. Ab dem 18. Jahrhundert setzte sich dann allmählich der Laibacher Dialekt als verbindliche Schriftsprache durch. 1812 kam es unter der Schirmherrschaft von Erzherzog Johann zur Gründung des Lehrstuhls für Slawistik sowie einer „Societas slovenica“ in Graz. Und 1851 wird der Verlag der Hermagoras Bruderschaft (Družba sv. Mohorja) in Klagenfurt gegründet.
Das Slowenische erweist sich in vielen Aspekten als konservativer als seine Nachbarn, so gibt es noch ein voll ausgebildetes Dualsystem sowie ein Supinum, allerdings nur noch sechs Fälle. Auch das V behält nach Vokalen bzw. vor Konsonanten tendenziell seinen vokalischen Charakter. Daneben gibt es wie auch im Serbokroatischen eine Neigung zur Velarisierung bzw. Vokalisierung des L nach Vokalen bzw. vor Konsonanten, die je nach Dialekt verschieden stark ausgeprägt ist. Vokalisches R wird zumindest im Laibacher Dialekt mit einem Schwalaut [э] ergänzt. Palatales D wurde zu J. Entgegen dem relativ einfachen Konsonantensystem erweist sich das Vokalsystem als sehr verzwickt. Dazu kommt noch ein freier Akzent, der sogar auf die letzte Silbe fallen kann. E wird wie im Deutschen als gemeinsames Zeichen für drei Vokalqualitäten eingesetzt, wobei selbst der Schwalaut betont auftreten kann. Die Vokale kommen kurz und offen oder lang und geschlossen vor, E und O können auch lang und offen sein.
Der oben erwähnte Dual wird zwar in der Schriftsprache hochgehalten, doch in der Alltagssprache immer weniger gebraucht, vergleichbar dem Genetiv im Deutschen.
Das Sprachgebiet ist dialektisch stark gegliedert. Sieben Hauptdialekte werden unterschieden: Pannonisch (panonski), Steirisch (štajerski), Kärntnerisch (koroški), Küstenländisch (primorski), Gereuterisch (rovtar), Oberkrainisch (gorenjski) und Unterkrainisch (dolenjski). Der Einfluss des Deutschen macht sich seit dem Mittelalter stark bemerkbar. Das zeigt sich vor allem in Fremd- und Lehnwörtern. Zum Beispiel gmajna (Gemeinde), nuc (Nutzen), škoda (Schaden), um nur einige zu nennen. Heute wird das Slowenische von etwa 2,4 Mio Menschen gesprochen. Davon befinden sich 1,75 Mio in Slowenien (das sind etwa 88% der Gesamtbevölkerung), der Rest verteilt sich auf Österreich, Italien, Ungarn und Jugoslawien. Etwa 0,5 Mio Slowenen werden in Übersee vermutet.
Das slowenische Alphabet hat 25 Buchstaben. W, Q, X und Y kennt es nicht. Dafür kommen die Sonderzeichen Č, Š und Ž hinzu. LJ und NJ stehen für die entsprechenden Palatallaute (wie GL und GN im Italienischen sowie LH und NH im Portugiesischen). Č steht für deutsches TSCH, C entspricht stets dem deutschen Z, H dem deutschen CH, Z dem deutschen S und Ž einem sehr stimmhaften SCH. V und L werden im Auslaut und vor Konsonanten als U gesprochen. Nach der jetzt gültigen Rechtschreibung werden die Verbalableitungen auf ~avec oder ~ivec mit L geschrieben: igralec, igralka.
Zum Schluss noch als sprachliches Beispiel ein Gedicht von Valentin Polanšek aus Eisenkappel (1928—1985) über seine Kärntner Heimat:
Koroška domovina
1 Gléj, vrh Obírja sám stojím.
Kaj sréče támkaj doživím.
Pozdrávljam te, koróška domovína!
2 Tam dôli Dráva se bleščí,
sred jézer, pólj, dobráv, vasí.
Prelépa si, koróška domovína!
3 Da zvést bi zméraj bil ti, dáj,
preljúbljeni koróški ráj.
Ti môja si, koróška domovína!
(Übersetzung: 1. Schau, einsam steh ich am Hochobir. Was für ein Glück hab ich dort erlebt. Ich grüße dich, Kärntner Heimat! 2. Dort unten glänzt die Drau – inmitten von Seen, Feldern, Wäldern, Dörfern. Du bist so schön, Kärntner Heimat! 3. Um dir immer treu zu sein, beschenk mich, so sehr geliebtes Kärntner Paradies. Du bist mein, Kärntner Heimat!)
Literatur:
Haarman, Harald: Kleines Lexikon der Sprachen. Von Albanisch bis Zulu. Verlag C.H.Beck, München 2001.
Jenko, Elisabeta M.: Grammatik der slowenischen Sprache. Eine Einführung. Drava Verlag, Klagenfurt 2000.
Jenko, Elisabeta M.: Sich auf die Socken machen – vzeti pot pod noge. Deutsch-slowenisches Wörterbuch der Redewendungen. Drava Verlag, Klagenfurt 1994.
Klasinc, Peter Pavel (Hg.): Glosar zgodovinskega domoznanstva: nemško – slovensko – italjanski. Narodnain universitetna knjižnica, Ljubljana & Maribor 1995.
McDowall, Marc (Ed.): Der Wald der Vampire. Die Slawen. Deutsch von Joachim Peters. Mythen der Menschheit, Duncan Baird Publishers, London 1999.
Pohl, Heinz Dieter: Die Mundarten auf dem Wochenmarkt. In: G.H.Leute, H.D.Pohl und H.Zwander (Hg.): Der Klagenfurter Wochenmarkt. 337—382. Naturwissenschaftlicher Verein für Kärnten, Klagenfurt 2000.
Volksgruppenzentrum, Österr. (Hg.): Kärntner Slowenen. Hermagoras Verlag, Klagenfurt 1993.
Volksgruppenzentrum, Österr. (Hg.): Steirische Slowenen. Hermagoras Verlag, Klagenfurt 1994.
Vrbinc, Miha: Pozdravljeni. Osnovni tečaj slovenščine – Grundkurs Slowenisch. Hermagoras Verlag, Klagenfurt – Ljubljana – Wien 1999.
Wiesler, Alois: Slowenisch Wort für Wort. Kauderwelsch Band 69. Verlag Peter Rump, Bielefeld 1999.